: Viel Verdrängung und wenig Kondome
■ Die Aids-Hilfe DDR beginnt unter dem Druck der offenen Grenze ihre schwierige Arbeit / Ein Start ohne Geld und ohne Räume / Aufklärung und Prävention unter Schwulen als vorläufiger Arbeitsschwerpunkt / Die bisherige Aids-Politik in der DDR soll vollständig korrigiert werden
Ost-Berlin (taz) - Ohne Geld, ohne Räume und mit wenig man -power hat die Aids-Hilfe DDR ihre Arbeit aufgenommen. Sie residiert gegenwärtig in den Privaträumen ihrer Gründer. Von dort aus wird der Feldzug gegen die nach wie vor dominierende Verdrängung der Aids-Gefahr, gegen hundsmiserable Kondome und gegen die Test-Manie der Aids -Kontaktzentren organisiert. Am Donnerstag stellten Rainer Herrn, Günter Grau und Olaf Leser die im Januar neu gegründete Organisation der Presse vor.
Die Aids-Hilfe DDR will sich hauptsächlich auf die Aufklärung und Prävention in der Hauptbetroffenen-Gruppe der Schwulen konzentrieren. Die Drogenkonsumenten werden dazukommen, sobald „die Drogenhaie auch bei uns zuschlagen“, so Günter Grau. Gegenwärtig versorgen sich die Aufklärer hauptsächlich mit Info-Material der westdeutschen Aids -Hilfe. Doch die dringend notwendige Prävention könne auf Dauer nicht von der BRD bezahlt werden, kritisieren die Initiatoren. Ein Etat von 200.000 Mark sei deshalb bei der DDR-Regierung beantragt worden, doch bisher „haben wir keine müde Mark gesehen“.
Die Aids-Hilfe verlangt eine weitgehende Korrektur der Aids -Politik der DDR. Die bisherigen Änderungen seien zwar notwendig und richtig gewesen, reichten aber nicht aus.
Seit 1.Februar werden Ausländer in der DDR nicht mehr zwangsgetestet. Auch die Zwangstestung der Strafgefangenen wurde abgeschafft. Der HIV-Antikörpertest wird ebenfalls seit 1.Februar anonymisiert.
Rainer Herrn und Günter Grau forderten darüber hinaus eine Wende der hauptsächlich „infektiologisch“ orientierten Aids -Politik, die sich vorrangig zur Aufgabe gestellt habe, „Infektionsherde ausfindig zu machen“. Noch immer würden sich die Kontaktberatungsstellen in den DDR-Bezirken an die Fährte der Schwulen heften, um sie regelmäßig zu testen. Schätzungsweise 2.000 bis 2.400 Homosexuelle würden in vierteljährlichen Abständen zur Blutprobe einbestellt. Test -Beratungen gebe es nur in Leipzig und Ost-Berlin. Das Argumentationsmuster: Nur wer sich testen lasse, verhalte sich verantwortlich. Für Grau ist das absoluter Unsinn und gefährlicher Unsinn, denn die Prävention durch Safe Sex werde gleichzeitig sträflich vernachlässigt.
Für Safe Sex fehlen allerdings in der DDR auch die einfachsten Dinge: Kondome und Gleitgel. DDR-Kondome des einzigen Herstellers VEB Plastina in Erfurt hätten in Testreihen erbärmlich abgeschnitten, sie seien benutzerfeindlich, oft nur mit den Zähnen (!) zu öffnen, riechen schlecht und seien nicht sicher genug.
Insgesamt sei die DDR-Bevölkerung über Aids bedeutend schlechter informiert als die BRD. Die direkte Konfrontation mit der Krankheit, die im westlichen Ausland einen starken Präventionsschub auslöste, sei in der DDR -glücklicherweise noch nicht vorhanden. Bis auf ein einsames Informationsblättchen sei an Aufklärung so gut wie nichts passiert. Auch die homosexuelle Bevölkerung habe die Krankheit mit großem Erfolg verdrängt. Angesichts der offenen Grenzen drohe der Vorsprung der DDR, die gegenwärtig nur zweistellige Kranken- und Infiziertenzahlen verzeichnet, verlorenzugehen.
Oberste Priorität für die Aids-Hilfe DDR hat jetzt die Eröffnung eines eigenen Büros „mitten in der Stadt“. Berlin brauche dringend ein Aids-Zentrum, denn ohne Räume und Anlaufstellen sei keine Aufklärungsarbeit zu leisten.
Spendenkonto: 6782-37-444, Sparkasse Ostberlin
Manfred Kriener
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