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Kopfsteuer kostet Thatcher den Kragen

Neues britisches Steuersystem bringt auch konservative Basis gegen die angerostete Iron-Lady in Rage  ■  Aus London Ralf Sotscheck

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher kämpft um ihr politisches Überleben. Nachdem bereits in der vergangenen Woche 18 konservative Bezirksratsmitglieder in Oxfordshire zurückgetreten waren, kündigte am Sonntag auch der Minister für Wales, Peter Walker, seinen Rücktritt „innerhalb der nächsten Monate“ an. Die Kritik der Abtrünnigen richtet sich vor allem gegen die Kopfsteuer, die ab April in England und Wales eingeführt wird. Diese Steuer ersetzt das alte System der Gemeindeabgaben und wird nicht mehr pro Haushalt, sondern pro Kopf berechnet. Die Höhe der Steuer wird von den Lokalverwaltungen festgelegt und ist unabhängig vom Einkommen. In vielen Gemeinden muß die Bevölkerung ab April fast doppelt so tief in die Tasche greifen.

Walker erklärte am Sonntag zwar ausdrücklich, daß sein Rücktritt lediglich aus „persönlichen und beruflichen Gründen“ erfolge. Doch seine Entscheidung kam für Thatcher zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. Die Premierministerin hatte gehofft, daß die von der Labour Party kontrollierten Bezirksverwaltungen die Richtlinien für die Kopfsteuer deutlich überschreiten und dadurch WählerInnensympathien verscherzt würden. Nachdem am Freitag der Termin für die Festlegung der Steuer abgelaufen war, mußte Thatcher jedoch feststellen, daß auch die konservativen Verwaltungen fast ausnahmslos die Richtlinien der Regierung deutlich überschritten haben. Den Löwenanteil des Geldes schlucken Polizei und Schulwesen. In Schottland, wo die Kopfsteuer bereits im vergangenen Jahr eingeführt wurde, hat sich eine breite Boykottbewegung gebildet.

Auf der Konferenz der konservativen Bezirksregierungen wurde Thatcher am Samstag ein kühler Empfang bereitet. In ihrer ungewohnt defensiven Rede beschwor sie die Bezirksräte, die Gemeindeabgaben als Schlüsselelement in ihrem Kampf gegen den Sozialismus zu akzeptieren. Doch die Tories vor Ort müssen die Verärgerung der Bevölkerung ausbaden. Ein Abgeordneter sagte: „Wir scheinen uns selbst ein Massengrab zu schaufeln.“ Laut einer Meinungsumfrage vom Sonntag hat die Labour Party inzwischen 19 Prozent Vorsprung vor den Konservativen. Julie Nicholson aus Somerset sagte: „Wir sind diejenigen, die in die Kneipen und Supermärkte gehen - und die Leute sind wütend.“ Um eine offene Rebellion zu vermeiden, hatte Thatcher ihre Rede bereits vor der Debatte über die Kopfsteuer gehalten. Zwar wurde sie mit den üblichen stehenden Ovationen verabschiedet, doch der 'Independent on Sunday‘ bemerkte genüßlich, daß sich „einige der 650 Ratsmitglieder bereits nach 45 Sekunden“ hinsetzten.

Die Sorgen der Tories werden in den nächsten Wochen noch wachsen. In Anbetracht der hohen Inflationsrate, die durch die Kopfsteuer um einen weiteren Prozentpunkt steigt, wird der Haushaltsplan am 20. März keine Zugeständnisse an die WählerInnen enthalten. Zwei Tage später findet die Nachwahl in Staffordshire statt, wo die Labour Party sich vermutlich erstmals durchsetzen wird. Und bei den Lokalwahlen im Mai werden die Tories nach dem Stand der Dinge ein Debakel erleben. Ein konservativer Hinterbänkler sagte am Wochenende: „Vielleicht tritt Thatcher im Sommer freiwillig zurück. Dann kann sie ihr Gesicht wenigstens einigermaßen wahren.“

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