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Opernlibretto in persona

 ■  Jose Carreras, Tenor von Weltrang in Bremen

Auf den Plakaten wurde das Konzertereignis versprochen. Einer der weltbesten Tenöre gab am vergangenen Sonntag in der Stadthalle zu Bremen einen Liederabend; Jose Carreras sang zu Klavierbegleitung.

Nun hat der liebe Gott diesem Menschen nicht nur eine wunderschöne Stimme geschenkt, sondern ihn auch vor Zweijahresfrist eine lebensgefährliche Krankheit überstehen lassen. Ein gefundenes Fressen für die Gazetten und für das Management des spanischen Tenors, das sich seitdem mit mindestens 100 % Leukämiezuschlag pro Eintrittskarte dumm und dusselig verdient.

Nur ging diese Rechnung diesmal nicht auf. Das weite Rund der großen Stadthalle mußte dezent mit Vorhängen abgeteilt werden, um die Sicht auf die unverkauften Plätze im Innenraum zu verdecken. Ein peinliches Durcheinander schon vor Beginn: Menschen, die 160 DM im Vorverkauf losgeworden waren, im Clinch mit den „niederen Preisklassen“, die nun legal ein teureres Plätzchen besetzen durften. Plastikblumenkästen schmückten allerliebst die Bühne, große Boxen ließen Ungeheuerliches ahnen...

Die MusikliebhaberInnen waren diesem Ereignis in weiser Voraussicht ferngeblieben. Die hätten sich wohl auch nicht das bieten lassen, was die überwiegend ohne Begleitung erschienenen Damen im „Frau im Spiegel„-Alter vorgesetzt bekamen. Aber wer kommt, um einen Ex-Beinaheleichnam zu begaffen, wer ein Opernlibretto in persona

anbeten möchte und bereit ist, dafür bis zu 160 DM auszugeben, ist selbst schuld.

Über eine anfangs miserabel ausgesteuerte Anlage wurden Stimme und Klavier elektronisch verstärkt dargeboten. Verständlich zwar, daß in diesem Schuppen mit dem Charme einer Flugzeug-Montagehalle der Protagonist Angst um seine Stimme hatte, aber musikalisch ist dieser Abend folgenlos an mir vorübergegangen.

Ich entsinne mich jedoch an ein grandioses Konzert Tage zuvor in Hannover mit exakt demselben Programm wie in Bremen. Nicht alltäglich beginnend mit drei spätbarocken Arien, vorgetragen mit erstaunlicher Musikalität, Gestaltung und Schöngesang. Eine tadellose Stimme mit wunderbar bronzen, baritonal fundierter Klangfarbe. Er macht nicht auf gekünstelt effektvoll, sondern besticht durch natürliche Interpretation. In den Liedern von Allessandro Stradella und Paolo Tosti verzaubert er das Auditorium mit unvergleichlichen Piano- und Pianissimotönen, ehe in zwei Stücken spanischen Gesangs von de Falla intensivste, an Flamencogesang erinnernde Gestaltung dargeboten wird. Mit Arien Puccinis werden zu guter Letzt auch noch die Freunde höchster Belcantokunst bedient - alles äußerst geschmackvoll vorgetragen, das Spektrum der großen Gefühle durch die Kraft der stimmlichen Interpretation hörbar gemacht. Jetzt fällt mir auch der Name wieder ein: Jose Carreras.

Jörg Oberheide

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