: Kultur und Kriminalität
■ Das türkische Arcadas Theater mit „Ob Yasar lebt oder nicht“ in Köln
Babasi nüfus kagidi olmadigi icin ilkokula kaydettiremedigi Yasar'i elinden tutup, nüfus müdürlügüne götürür. Kayitlarda Yasar'in 1915 yilinda ?Canakkale‘ de sehit düstügü gözüktügüden, nüfus kagidi verilemez: eine ausweglose Situation. Denn ohne Ausweispapiere kann Yasar nicht die Schule besuchen, kann seine Ayse nicht heiraten, nicht arbeiten, das väterliche Erbe nicht antreten und ist wehrlos Betrug und Raub ausgesetzt.
Der Grund seiner Illegalität ist eine Eintragung beim Einwohnermeldeamt, nach der er 1915 bei den Dardanellen gefallen ist, - er müßte also acht Jahre älter sein als sein Vater und ein Jahr älter als seine Mutter. Das stört die Behörde gar nicht. Yasar existiert für sie nicht. Das Militär aber zieht ihn trotzdem ein und notiert in seine Entlassungspapiere, daß er 1936 in Dersim gefallen sei: „Man stirbt für das Vaterland nicht nur zweimal, sondern hundertmal, wenn es sein muß.“
Ob Yasar lebt oder nicht von Aziz Nesin wurde in türkischer Sprache vom Arcadas Theater aufgeführt, das vor bald fünf Jahren aus dem Türkischen Lehrerverein Köln hervorgegangen ist, um die deutsche Vorstellung von türkischer Kultur (Kebab, Bauchtanz) zu bereichern und sie (die Kultur) den Landsleuten - in Köln sind es etwa 65.000 zugänglich zu machen. Die meisten der insgesamt zwanzig Akteure waren schon in der Türkei professionelle Schauspieler und verdienen jetzt in der Bundesrepublik ihr Geld als Bauarbeiter, Lehrer und Putzfrauen. Für ihre Tourneen werden ihnen gewöhnlich Bürgerhäuser zur Verfügung gestellt: türkisches Theater gehört für uns eben zu Multikulti, und das fassen wir unter Soziales. Das Arcadas Theater aber will schließlich, und mit guten Gründen, auf den Bühnen deutscher Theater spielen. Das Repertoire, das bisher zeitgenössische Stücke, auch zweisprachiges Kindertheater, von 1910 bis heute umfaßt, wird demnächst erweitert um die Werke der großen orientalischen Klassiker.
Der Anspruch ist hoch. Daß ihm die Arcadas-Truppe gerecht werden kann, daran ließ die Inszenierung von Ob Yasar lebt oder nicht keinen Zweifel. Regisseur Maray Ülgen hat das pointenreiche Stück (das schließe ich aus den Publikumsreaktionen) mit den einfachen Mitteln des Straßentheaters inszeniert. Yasar (Bülent Tezcanli), der zu Beginn ins Gefängnis eingeliefert wird und dort seinen Mitgefangenen die Stationen seines Leidensweges erzählt sie werden an Ort und Stelle nachgespielt - ist eine vitale, und deshalb um so mehr tragikomische Figur. Seine dramatischen Umstände, die von einem gutgelaunten Brecht nach einer Fabel von Kafka stammen könnten, sind flink, leicht und vielfältig umgesetzt: witzige Palaver, das karikierte Ritual der Brautgeschenkübergabe, und die immer neu variierten, absurden Gänge durchs Labyrinth der Ämter bis zur fast wortlosen Choreographie des Von-Pontius-zu -Pilatus-und-zurück-Laufens. So kompakt und virtuos das Stück abläuft, so plausibel endet es. Yasar verläßt das Gefängnis als angesehener Mann, denn in dieser kriminellen Gesellschaft zog er die einzig praktikable Konsequenz, nämlich selber kriminell zu werden.
Bernd Leukert
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