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Nebenwiderspruch, historisch

■ Das Frauenspektakel „Die Carmagnole mit dem Tod“

Während des Jubiläumsjahres 1989 rollten die Köpfe der französischen Revolutionäre gleich waschkörbeweise über die europäischen Bühnenbretter. Danton und Robespierre, Marat und unzählige Namenlose starben in Serie, den Nachfahren zur Lehre, wie aus allen Menschen Brüder werden. Frauen, sofern sie nicht Charlotte Corday oder Marie-Antoinette hießen, fanden kaum Erwähnung. Was nicht weiter verwundert: Schließlich gab es bisher keinen Theatertext, der die Rolle der französischen Revolutionärinnen würdigte.

Herstory, die weibliche Geschichtsschreibung, vollzieht sich immer noch vornehmlich als Ausgrabungsarbeit feministischer Historikerinnen und in Frauenseminaren; auf Stadttheaterbühnen fand sie bisher keinen Platz. Insofern ist der Dortmunder Versuch bemerkenswert. Daß die Veranstaltung dann über weite Strecken den Anschein erweckte, als habe ein Forscherinnenteam, statt ein Thesenpapier zu erstellen, sich zu einer künstlerischen Übung entschlossen, zeigt auch die Probleme einer solchen Pionierarbeit. „Die Carmagnole mit dem Tod“ von Gerda Marko weist typische Probleme eines Erstlingswerkes auf: eine Fülle von Informationen und Fakten soll transportiert werden, und der Inhalt hat Priorität vor der theatralischen Form, die sich in mehreren Spielebenen verwickelt. Hinzu kommen Originalzitate zeitgenössischer Philosphen und Nachdichtungen revolutionärer Lieder und Tänze, eben der Carmagnole (Liedtexte: Volker Ludwig).

Es beginnt im Paris des Jahres 1789. Eine freie Theatergruppe unter der Regie von Olympe de Gouges, Frauenrechtlerin und Publizistin, probt „Die Kolonie“ von Marivaux: Eine Gruppe von Schiffbrüchigen versucht, sich eine Staatsform zu geben, in der Frauen an der Herrschaft teilhaben. Die Gruppe will mit dem Stück als Straßentheater in den revolutionären Prozeß eingreifen; Darstellerinnen des Spiels im Spiel sind historische Frauengestalten der Zeit. Theroigne de Mericourt, die Amazone und spätere Anführerin eines Frauenbataillons, Claire Lacombe, Schauspielerin und spätere Präsidentin des Clubs der revolutionären Jacobinerinnen, und Paulin Leon, Erbin einer Schokoladenmanufaktur, treffen aufeinander.

Ihre Diskussionen sind von verblüffender Aktualität, sie weisen über den historischen Anlaß hinaus. Gestern ist heute. In diesen selbstironischen Texten, die alle Streitfragen der neuen Frauenbewegung thematisieren, liegt die Stärke von Gerda Markos Stück. Sie zeigt, wie die Gruppe der Frauen nicht nur dem Außendruck erliegt, sondern sich auch in Konkurrenz und Widersprüchlichkeiten aufreibt.

Vier Jahre später ist dann alles vorbei: Die Revolution hat gesiegt, der Nebenwiderspruch ist in seine Schranken zurückgewiesen. Olympe de Gouges, die der exklusiven Erklärung der Menschenrechte - Frauen, Kinder und Wahnsinnige waren ausgeschlossen - eine Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin entgegensetzt, ist geköpft; Theroigne de Mericourt in der Irrenanstalt. Claire Lacombe ist, hin und hergerissen zwischen privatem Glück und politischer Karriere, gescheitert. In einem Nachspiel tritt das nachrevolutionäre Weibchen auf die Szene; es hat erkannt: Sexualität ist Macht. Rollback anno 1794 - auch das kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte.

Das Dortmunder Ensemble hat seine Probleme mit der „Carmagnole“. Da gilt es weniger Bühnenfiguren zu gestalten, als Inhalte zu vermitteln, die teilweise beliebig auf die verschiedenen Rollen verteilt sind. Das klarste Profil gewinnt Ines Burkhardt als Protagonistin Olympe de Gouges. Regisseurin Annegret Ritzel, bekannt für einen eher formalistischen Inszenierungsstil, tut sich schwer mit der Bebilderung des Themenkomplexes Frau und Politik.

Doch trotz theatralischer Mängel und teilweise bemühter Lehrstückhaftigkeit ist „Die Carmagnole mit dem Tod“ sehenswert, weil witzig und klug. Autorin Marko arbeitet zur Zeit an einem Buch über Frauengeschichte. Spannend wird's bestimmt.

Andrea Faschina

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