„Die geht ja wie'n Kerl!“

Zwischen Identität und Desaster: Birgit Palzkill legt eine längst fällige Untersuchung über lesbische Frauen im Sport vor /Das Trainer-Sportlerin-Verhältnis entspricht strukturell dem des Zuhälters zur Prostituierten  ■  Von Kerstin Lück

Zwischen Turnschuh und Stöckelschuh - wie, so wollte die Sportsozioliogin Birgit Palzkill wissen, können lesbische Frauen im Sport ihre Identität und Existenz entwickeln? Antworten suchte die Studienrätin für Mathematik und Sport, selbst ehemalige Basketballnationalspielerin, durch intensive Befragung von 19 lesbischen Spitzensportlerinnen aus den Sportarten Basketball, Handball, Volleyball, Leichtathletik, Fußball, Badminton Schwimmen und Rudern.

Birgit Palzkill widmete sich bei ihrer Dissertation einer These, die die Öffentlichkeit schon länger als Klischee herausposaunt: Muskulöse Athletinnen in männlich besetzten Sportarten, die aufgrund ihrer Leistung in aller Munde sind, jedoch dem weiblichen Schönheitsideal nicht entsprechen, können nur lesbisch sein. Denn welche andere Frau würde ihren Körper so zurichten, den Busen wegtrainieren und dem Betrachter einen kraftstrotzenden Body vorführen?

Ballett oder Fußball?

Ganz und gar kein leichtes Terrain, auf das sich Birgit Palzkill da begab. 'Spiegel‘ und 'Bild‘ waren gleich zur Stelle und interviewten die Botin der Ungeheuerlichkeit. „Wird meine tennisspielende Tochter jetzt lesbisch?“, scheint nun die Sorge aller Eltern, TrainerInnen und SportfunktionärInnen zu sein. Das, so analysierte die Autorin, wäre zumindest eine Möglichkeit, dem Widerspruch zwischen Frau-Sein und Sportlerin-Sein zu begegnen.

Schon als bewegungsfreudige, raufende und fußballspielende Mädchen geraten Frauen in Konflikt mit dem Rollenklischee aus der Schule. Dort wird eher das Ideal der Turnerin und Ballettänzerin vorgegeben, als das der Hand- und Fußballspielerin. Um überhaupt ihre Lust an Kraft, Schnelligkeit und Wettkampfspielen austoben zu können, gehen viele Mädchen in Sportclubs.

Doch die gewünschte Bewegungsemanzipation suchen sie in den hauptsächlich von Männern dominierten Strukturen oftmals vergebens. Denn die meisten Sportvereine hinken dem gesellschaftlichen Rollenwandel weit hinterher. Ein gebräuchlicher Witz illustriert dies eindrucksvoll: „Damenhockey ist eine Augenkrankheit mit elf Buchstaben.“

Die Frauensporthistorikerin Gertrud Pfister beschreibt den Sport als „Ausdruck und nicht als Initiator von Emanzipationstendenzen“. Es bleibt die Frage, wie junge Frauen in ihrer sportlichen Laufbahn eine Identität gewinnen können. Denn zunächst einmal schicken Eltern ihre Töchter in die Abhängigkeit von Trainern, die sich ihre Autorität auch über ein Netz von erotisierten Beziehungen zu ihren „Schützlingen“ sichern. Ein Bundestrainer der Leichtathletik bekannte da ganz offen: „Das Verhältnis Trainer-Sportlerin kann erst dann richtig leistungsfördernd sein, wenn es in den Grundstrukturen dem des Zuhälters zur Prostituierten entspricht.“

Leistungssportlerinnern werden demnach bewußt unmündig gehalten werden, damit andere, für ihr Leben relevante Bereiche erst gar keinen Einfluß gewinnen können. Berufsausbildung, Studium oder soziale Beziehungen erlangen keine Bedeutung, weil immer schon der nächste Wettkampf alles an Wichtigkeit übertrumpft. So sind nicht wenige Spitzensportlerinnen nach Beendigung ihrer Sportkarriere Sozialfälle in mehrfacher Hinsicht: Schlecht oder gar nicht ausgebildet, damit finanziell und existenziell nur ungenügend abgesichert, und sozial isoliert, da außerhalb des Sports nur wenig freundschaftliche Bezüge hergestellt werden konnten.

Frau sein, nicht nur Körper

Dennoch wird der Leistungssport von Frauen als Chance begriffen, sich selber nicht nur über das Körperäußere zu definieren, sondern auch über Leistungsfähgkeit und reibungsloses Funktionieren. Erst wenn Athletinnen bemerken, daß sie als Frau ignoriert werden, das heißt einzig und allein ihr erfolgreicher Körper im Mittelpunkt steht, dann kommt es zum Abbruch der Karriere, oder eben, wie Palzkill beschreibt, zu einer lesbischen Beziehung. Diese bietet außerhalb des Wertesystems Sport die Gewähr, als Frau geschätzt und geliebt zu werden.

Obwohl in lesbischen Beziehungen der Widerspruch zwischen Sportlerin-Sein und Frau-Sein aufgehoben ist, so wachsen doch vielfältige Widersprüche nach. Aus Angst vor Sanktionen und Diskriminierung müssen prominente Spitzensportlerinnen ihre lesbische Identität in der Öffentlichkeit tarnen. So ist es kein Zufall, daß nur wenig Spitzenathletinnen als Lesben bekannt sind: Gerade bei Teamsportarten, deren Leistung zu einem großen Teil aus persönlichem Verstehen und Zusammenspiel besteht, kommen solche Beziehungen öffentlich kaum vor.

Andererseits wird die offen lebende Lesbe in ihrer Identität ignoriert, oder aber es gilt als Privileg der „Leistungsträgerin“. Es spricht Bände, wenn immer wieder und bei jedem Match das gierige Objektiv der Fernsehkamera vom sehnigen Unterarm Martina Navratilovas direkt zur sonnenbebrillten Geliebten auf der Zuschauertribüne schwenkt.

Wie lange Lesben in Sportvereinen Diskriminierungen aushalten, hängt davon ab, wieviel Bestätigung sie außerhalb des Sports bekommen, und wie isoliert sie innerhalb des „sozialen Zufluchtsorts Verein“ (Palzkill) sind. Sicher bietet eine Tarnung als Heterosexuelle keinen Raum, Identität zu entwickeln und Persönlichkeit zu entfalten.

Leider ist das Alternativangebot an autonomer Frauenbewegungskultur nicht sehr groß. In Berlin gibt es seit 14 Jahren ein Selbstverteidigungszentrum, sowie seit kurzem den Frauen-Lesben-Sportverein „Seitenwechsel“, die neben dem Frauensport der Technischen Universität und einzelnen Kursen genügend Platz bieten, mittels Sport und Bewegung der eigenen Emanzipation Ausdruck zu verleihen. Generell jedoch fehlen immer noch Sportarten, deren Aktive es bisher nicht geschafft haben, autonome Frauenräume zu entwickeln.

Auszüge aus B. Palzkills Dissertation wurden in „Beträge für feministische Theorie und Praxis“, Nr. 25/26/1990 veröffentlicht.