Warum müssen alle zur selben Zeit zur Arbeit gehen?

taz-Gespräch mit Dieter Hundt, Vorsitzender des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg (VMI) / „Weitere Arbeitszeitverkürzungen dürfen nicht beschlossen werden“  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Hundt, in der laufenden Tarifrunde haben Sie von drei Essentials der IG Metall - 35-Stunden-Woche, freies Wochenende und mehr Lohn - die ersten beiden gleich vom Tisch gefegt. Kommt man sich so näher?

Dieter Hundt: Wenn Forderungen gestellt werden, die unserer deutschen Metallindustrie schaden, müssen wir mit allem Nachdruck versuchen, die Gegenseite zu überzeugen. Wir haben Gegenforderungen gestellt, die der gegenwärtigen Wettbewerbssituation, den Gegebenheiten in den Betrieben und auch den Interessen der Mitarbeiter besser entsprechen.

Wollen Sie mit mehr Geld den Arbeitnehmern eine weitere Arbeitszeitverkürzung wegkaufen?

Wir sind davon überzeugt, daß in den Belegschaften eine klare Präferenz für eine Lohnerhöhung besteht und nicht für weitere Verkürzungen der Arbeitszeit.

Haben Sie für eine weitere Arbeitszeitverkürzung keinen Verhandlungsspielraum?

Wir sind der Meinung, daß eine weitere Arbeitszeitverkürzung weder durchgeführt noch beschlossen werden soll. Das heißt aber nicht, daß wir für alle Zeiten die 37-Stunden-Woche haben werden. Aber wir sollten erst mal weitere Erfahrungen mit dem EG-Binnenmarkt abwarten und die Entwicklung in der DDR.

Das heißt, Sie lassen über weitere Arbeitszeitverkürzungen erst wieder 1993 mit sich reden?

Das haben wir ganz eindeutig signalisiert.

Nun gehen die Arbeitgeber aber vor den Tarifabschluß von 1984 zurück: es soll wieder 40 Stunden und mehr gearbeitet werden - zumindest die Facharbeiter.

Wir wollen es einem Teil der Mitarbeiter auf freiwilliger Basis ermöglichen, Arbeitszeiten bis zu 40 Stunden zu vereinbaren. Das betrifft Arbeitskräfte, die für die Betriebe entscheidend wichtig sind. Und es ist eine Forderung, die der Situation des Arbeitsmarkts entspricht. Außerdem benötigen wir eine verstärkte Entkoppelung der individuellen von der betrieblichen Arbeitzeit. Wir wollen die Möglichkeit, die Tagesarbeitszeit über acht Stunden hinaus ausdehnen zu können und in beschränktem Umfang auf sechs Werktage zu verteilen. Die Zeiten sind vorbei, wo alle zur selben Zeit zur Arbeit gehen und zur selben Zeit nach Hause.

Bekommen nicht auch viele Unternehmer das Grausen, wenn sie an das Chaos unterschiedlichster Gehalts- und Arbeitszeitregelungen in ihren Betrieben denken?

Da sollte man kein Grausen bekommen. Das ist doch naheliegend. Es ist doch ein Unterschied, ob einer im Dreischichtbetrieb acht Stunden arbeitet oder ein anderer in der EDV-Abteilung. Warum können nicht unterschiedliche Arbeitszeiten vereinbart werden?

Mit dem freien Samstag, dem Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer und der Mitbestimmung bei der Genehmigung vor Mehrarbeit greifen Sie entscheidende Errungenschaften der Gewerkschaften an. Stören Sie damit nicht den sozialen Frieden?

Das befürchten wir nicht. Wir tragen damit den betrieblichen und auch gesellschaftlichen Gegebenheiten besser Rechnung. Nehmen wir den Kündigungsschutz: Die bisherige Regelung war nicht besonders förderlich.

Sie fordern, Ältere sollen Platz machen für Junge.

Das behauptet die IG Metall. Wir sagen nur, wir sollten den Kündigungsschutz so regeln, daß er nur für Beschäftigte gilt, die vor dem 50. Lebensjahr schon in die Betriebe eingetreten sind. Das sind betriebliche Notwendigkeiten. Wir müssen dazu kommen, auch aktuelle Gegebenheiten zu berücksichtigen und nicht alles, was vor 20 oder 30 Jahren festgelegt wurde, zum Tabu zu machen. Die Welt geht unendlich schnell weiter, und wir stehen heute in einem anderen Wettbewerb. Da sind Anpassungen nötig, wenn wir überleben wollen.

In den letzten fünf Jahren hat Ihr Verband über 1.000 Betriebe verloren, die mit den Tarifabschlüssen nicht einverstanden waren. Jetzt rumort es erneut bei den Unternehmen, die in keinem Fall eine weitere Arbeitszeitverkürzung wollen. Bringen Sie die unter Druck?

Die bringen uns so wenig unter Durck wie früher. Die Position dieser Firmen ist durchaus verständlich. Und wir haben ihre Forderungen zum ganz wesentlichen Bestandteil unserer Positionen gemacht.

Sie suchen also den Konflikt mit der IG Metall?

Ich werde alles versuchen, um auf friedlichem Wege eine Lösung zu finden. Wenn uns die IG Metall allerdings einen Streik aufdrängt, dann müssen wir diesen mit aller Härte annehmen und darauf reagieren.

Nun muß ein ganz neues Argument, nämlich die katastrophale Lage in der DDR dafür herhalten, ein Solidaropfer von den Arbeitnehmern hier zu verlangen.

Gerade die Entwicklung in der DDR belegt unsere Position, jetzt auf keinen Fall weitere Arbeitszeitverkürzungen durchzuführen. Es werden sicher Opfer auf uns alle zukommen, möglicherweise in Form von Steuererhöhungen, Erhöhungen der Sozialabgaben und was auch immer. Dies ist um so mehr ein Argument dafür, jetzt alles an Verteilungsspielraum in eine Lohn- und Gehaltserhöhung zu stecken und nicht in Arbeitszeitverkürzungen.

Interview: Erwin Single