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Der Bundestag und das Eigentum

■ Oder: Das Ende des Grundgesetzes

Die gestrige Bundestagsdebatte war gewiß nicht die schlimmste. Deutschlandpolitische Grundsatzdebatten kurz vor der Wahl waren selten erquicklich. Aber wir leben in einer besonderen Situation. Die künftigen Interessen von 80 Millionen Menschen - von den Nachbarn ganz zu schweigen stehen zur Verhandlung und in zehn Tagen zur Wahl; deutsch -deutsche Interessen von widersprechender Gemeinsamkeit und gemeinsamer Widersprüchlichkeit. Die Bundestagsdebatte zeigt, daß das Schicksal dieser Interessen den Primitdemagogen, den Retourkutschenfahrern, den Fensterrednern, den Grundgesetzchauvis - kurzum, der geballten Inkompetenz bundesdeutscher Politik überantwortet ist. Diese Bundestagsdebatte hat deutlich gemacht, daß es gegenwärtig keine politische Instanz gibt, in der eine rationale Auseinandersetzung über den deutsch-deutschen Interessenausgleich, den ja die Einheit verlangt, stattfinden kann. Die komplizierten Fragen des Rechts, der Ökonomie, der Institutionen werden mit Lust den Maximen der Wahlkampf-Schlagetots unterworfen.

Ein Kanzler kann die Vereinahmung der DDR nach Artikel 23 verkünden, ohne daß er einen innenpolitischen Aufruhr befürchten muß. Schließlich will er nichts weniger, als die deutsche Einheit von vorneherein mit dem Geburtsmakel der Verfassungsverletzung belasten. Aber es geht nicht um politische Klärung, sondern es geht in diesen Tagen darum, den Bundestag zum Instrument der Beeinflussung der Volkskammerwahlen zu pervertieren. So kann Modrow unwidersprochen von Lambsdorff und Kohl als Vaterlandsverräter denunziert werden, weil er die Frage des Eigentums in der DDR in Moskau zum Vortrag brachte. Jener (von Minister Ullmann inspirierte) Brief an Gorbatschow, in dem Modrow die Sowjetunion als Siegermacht nun zur Garantiemacht des Volkseigentums machen will, ist gewiß heikel. Die Sowjetunion würde in die deutsch-deutsche Innenpolitik verwickelt, ohne die Macht zu haben, etwas zu garantieren, was die DDR-Politik womöglich gar nicht mehr durchsetzen kann. Aber: Dieser Brief artikuliert einen Interessengegensatz zwischen der DDR und der Bundesrepublik, den es nunmal gibt und auf den die Bundespolitik nicht antworten kann und - das muß man nach dieser Debatte hinzufügen - gar nicht antworten will.

Die Koalitionsparteien haben unüberbietbar klargemacht, was Vereinigung nach Artikel 23 heißt: substantieller Widerspruch zur bundesrepublikanischen Gesellschaft soll nicht durch Überzeugung überwunden, sondern soll schlicht niedergekämpft werden. Jetzt schon gibt es im Vorlauf einen Prozeß der Entdemokratisierung, der Barbarisierung der politischen Kultur. Daß es ein Mißverhältnis zwischen Politik und Gesellschaft gibt, ist in den letzten Jahren notiert worden, Es hat sich durch die Politik über die deutsch-deutsche Bande potenziert. Es zeigt sich die Gefahr, daß die Stunde der Einheit nicht die Stunde der Verfassung sein wird. Die Unterwerfung der DDR unters Grundgesetz wird das Ende des Grundgesetzes sein, weil es als Unterdrückungsinstrument einer deutsch-deutschen Verfassungsdebatte benutzt wird.

KLaus Hartung

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