: Licht im Energietunnel
■ FU-Forscher stellen die Energiezukunft der DDR vor / DDR-Minister warnt vor atomarem Anschluß
Ostberlin (taz) - Wird die DDR zum Angelpunkt der Energiepolitik für ganz Europa? Sebastian Pflugbeil, DDR -Minister ohne Geschäftsbereich, sieht die DDR in einer Schlüsselrolle. Wenn es die Energiekonzerne der BRD schaffen sollten, Atomkraftwerke in der DDR zu bauen und ihren harten Kurs durchzusetzen, dann hätte die Energiemafia gesiegt und: Es wäre schwer, von der Atomenergie wieder wegzukommen. Im Westen, so der Minister vom Neuen Forum am Freitag in einer Pressekonferenz in Ostberlin, seien die Strukturen so stark ausgeprägt, und die Konzerninteressen so dominant, daß es schwierig sein werde, dem Druck auszuweichen, um in der DDR ein eigenes Energieprogramm auf die Beine zu stellen.
Nicht in kleinen Schritten soll die DDR ihre Energiepolitik an die BRD angleichen, sondern sie mit großen überholen. Wie sie einen großen Sprung nach vorn machen könne, schlugen Lutz Mez und Jürgen Pöschk von der FU Berlin, Forschungsstelle für Umweltpolitik, in ihrem Zwischenbericht zur Energiesituation in der DDR vor. Die Studie, angekurbelt von den Grünen und der AL Berlin, zeigt vor allem drei Wege eines möglichen Vorgehens auf.
Oberstes Gebot der neuen Energiepolitik sollte die Senkung des Primärenergieverbrauchs sein, des drittgrößten in der Welt. Dann müßte die Energieeinsparung Priorität haben. Zum dritten solle die energiepolitische Diskussion dringend auf kommunaler Ebene angesiedelt werden. Mez und Pöschk schlagen der DDR vor, sofort aus dem Atomenergieprogramm auszusteigen. Bisher investierte sie 15 Milliarden Ost-Mark und noch 8 Milliarden müßten für den Ausbau von Greifswald und Stendal locker gemacht werden. Mez prophezeite, daß insgesamt 50 Milliarden Ost-Mark nötig wären, um westliches Atomniveau zu erreichen. Diese „unklare Fahrt“ Richtung Atomenergie sei also äußerst kostenaufwendig.
Stattdessen verlangen die FU-Forscher die energetische Sanierung der Gebäude. 30 bis 50 Prozent der für die Raumheizung vorgesehenen Primärenergie könnten dadurch eingespart werden. Die DDR biete außerdem hervorragende Einsatzmöglichkeiten für Blockheizkraftwerke. Sie könnten in Industrie, Landwirtschaft, Klärwerken, Mülldeponien und öffentlichen Gebäuden kurzfristig gebaut und in Betrieb genommen werden. Für die Versorgung mit Wärme und Strom seien sie ideal - auch um die veralteten Braunkohlekraftwerke abzulösen. Mit einem 10-Jahresprogramm ließe sich eine Blockheiz-Kraftwerkskapazität von 5.000 Megawatt errichten. Als Energieträger eigneten sich Gas und Erdöl bestens. Mez sieht außerdem in einem Windenergieprogramm für die DDR eine Perpektive. Nach der FU -Studie könnten jährlich 1.000 Windräder je 200 Kilowatt Strom erzeugen. Bis zum Jahr 2010 wären dies 20.000 Anlagen mit 4.000 MW.
Minister Pflugbeil und Vollrad Kuhn von der Grünen Partei (DDR) waren froh über den Flankenschutz aus Westberlin: „Wir brauchen dringend fachliche Unterstützung“, sagte der Minister. Und weiter: „Wir sind in einer schwierigen Situation, ganze Industrien müssen gekippt werden. Westliche Unternehmen stehen vor der Tür, also müssen wir ganz schnell Rahmenbedingungen für eine neue Energiewirtschaft schaffen“. Pflugbeil verlangte auch sprachliche Korrekturen: Statt Energiesparen müsse endlich von einem Stop der Energieverschwendung geredet werden.
Bärbel Petersen
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