: West-Vampire saugen DDR-Blut
■ Die Westberliner Firma Seroplas macht blutige Geschäfte mit DDR-Bürgern / Viele DDR-Bürger kommen regelmäßig und müssen nach Zapfterminen Schlange stehen / Wöchentlicher Aderlaß wird für Ostler zur Devisenquelle / Ostberliner Charite vom Blutstrom gekappt
Zögernd schiebt die im kalten Neonlicht bläßlich wirkende Hand eine Karteikarte über den Empfangstisch. Gepflegte schlanke Finger nehmen sie achtlos entgegen und versenken sie in einen Plastikkasten, während die dazugehörige Linke schon das nächste Pappkärtchen aufklappt. „Was denn, Sie schon wieder? Sind die sieben Tage schon um? Hoffentlich haben Sie wenigstens Ihre Schmalzstulle vorher gegessen!“ Mit einem kurzen, geschickten Griff holt die Arzthelferin einen grünen und einen blauen Geldschein aus der Schublade vor ihr. Die gerade noch wartende Hand zieht sich flink zurück und verschwindet mit den 30 D-Mark in einer der DDR -üblichen Einkaufstaschen.
„Sie wollen auch Plasma spenden?“ wendet sich die blonde Empfangsdame aufmerksam dem Nächsten zu, während ihre Kollegin wieder unter die Theke greift und erneut dreißig Mark aushändigt.
Im zugigen Eingang des „Hauses für medizinische Diagnostik, in dem auch „Seroplas“, die Westberliner Gesellschaft für Plasmaforschung und -gewinnung, ihren Sitz hat, gibt Krankenpfleger Matthias aus dem Ostteil der Stadt ohne Zögern Auskunft: „Ich bin hier, weil ich das Geld brauche für eine Reise im Sommer.“ Für eine Stunde Anfahrt, Voruntersuchungen und Wartezeiten nimmt er den Lohn in harter West-Währung entgegen. Auf die Frage, ob es nicht einfachere Wege gebe, sich die begehrten Devisen zu verschaffen, zieht er sich verlegen die selbstgestrickte Mütze etwas tiefer in die Stirn und antwortet achselzuckend: „Ich verdiene nicht soviel, als daß ich die fetten Ost-Mark hierherschleppen und in der Bank tauschen könnte.“
Der erste Weg der willigen Plasmaspender führt zur Anmeldung in den sechsten Stock - darauf verweist freundlich die Frau am Empfang. An einer Reihe bereits Wartender vorbei, die in dem nüchternen Flur-Empfangszimmer zum Teil stehen müssen, beginnt der Aufstieg nach oben. Eine Treppe höher, noch in der dritten Etage, finden die Spendenwilligen auf einer Hinweistafel erneut den Namen Seroplas. Im letzten Stockwerk dagegen ist auf einem nur notdürftig und hastig angeklebten Zettelchen in blutroter Schrift zu lesen: „Blutspende - Am Ende des Ganges“.
Das Warten im nächsten grau-weißen Raum am Ende des sterilen, Krankenhaus-Atmosphäre verbreitenden Ganges gestaltet sich trotz des heißen Kaffees nicht besonders gemütlich. Ein Sitzplatz ist kaum noch zu ergattern, an der Eingangstür drängeln sich bereits die potentiellen Plasmaspender.
Dann werden von einer robusten Krankenschwester, deren grell-pinker Lippenstift in wohltuendem Kontrast zu grau -weißen Wänden, Tischen, Kitteln und medizinischem Gerät steht, Venen auf Tauglichkeit überprüft. Doch der Aderlaß läßt auf sich warten: „Der früheste Termin, den ich Ihnen geben könnte, ist in drei Wochen“, lautet die ernüchternde Auskunft.
Ralf, Landwirtschaftsstudent aus Ost-Berlin, klärt bereitwillig über die Verhältnisse seit November auf, nachdem Seroplas-Geschäftsführer Scheidle kategorisch jede Auskunft über sein Geschäft abgelehnt hatte. Seit der Maueröffnung sei der Andrang zum Plasmaspenden so groß geworden, daß sogar die Räumlichkeiten ausgeweitet werden mußten. Während vor dem 9.November Seroplas nicht ausgelastet gewesen sein soll, wurde nun die Voranmeldung mit Wartelisten notwendig. Seit Anfang Februar wurde bei Seroplas organisatorisch umstrukturiert, um die Wartezeiten wieder in einem „zumutbaren Rahmen“ zu halten und sich so der „gegebenen Situation anzupassen“, wie auf einem Merkblatt zu lesen steht.
Seit November kommt der 28jährige einmal wöchentlich zum Ku'damm, um sich Blutplasma abzapfen zu lassen. Für 75 Mark Ost hat er früher auch in der DDR gespendet, aber das interessiert ihn jetzt nicht mehr. Dennoch wird er nachdenklich: „Jetzt haben die im Osten offene Kapazitäten. Für Operationen soll das Krankenhaus Charite schon Schwierigkeiten haben, Blutkonserven zu bekommen.“ Dann aber fügt er, wie zur Selbstentschuldigung hinzu, daß Blut im Osten immer exportiert worden wäre, um Devisen zu beschaffen. Immerhin sind von der Ostberliner Klinik in letzter Zeit verstärkt Spendenaufrufe ergangen, um die Konserven zu füllen, die aufgrund devisenhungriger DDR -Bürger leer geblieben sind.
„Das war doch schon nach der Maueröffnung klar der einfachste Weg, um an West-Geld zu kommen.“ Daß Seroplas seitdem Überstunden machen muß, wundert Andreas aus West -Berlin wenig. Nicht wenig stolz verweist er darauf, daß er schon seit anderthalb Jahren Blut fließen läßt - allerdings auch aus anderen Gründen als die Ostler. Er erhält bei jeder Sepnde eine Freikarte für die betriebseigene Sauna von Seroplas. „Für die Neuen gibt's die aber erst nach der 100. Spende. Die lassen da jetzt nicht mehr jeden rein!“
Christina Pöhlmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen