: Standbild: Stangenfieber
■ Zeil um Zehn
Zeil um Zehn (Freitag 21 Uhr 50 HR 3). Eine intelligente Hurengewerkschaftlerin (Frau Molloy), ein moralisierender Modedesigner (Herr Joop), ein sinnenfreudiger Greis (Prof. Alphons Silbermann) und eine Finanzexpertin der Sozialdemokraten. Letztere, Frau Matthäus-Maier, wirkt auch mit 40 noch wie eine Mischung aus Ponyhof und BDM-Mädel, so sauber und frisch-fröhlich wie bieder und dämlich. Und genau so redet sie. Als es um die Rechte der Huren geht, weiß sie natürlich von der Ungerechtigkeit, daß zwar der Freier entgangene Leistung, nicht aber die Frau verweigertes Geld einklagen kann, das entscheidende Problem jedoch „sind für mich die Zuhälter“. Es folgt die TV-Mär vom bösen Loddel und der armen Sklavin - die Frau Molloy gründlich zurechtrückte. Nicht die Zuhälter sind das Problem, sondern die Frauen diskriminierende Grauzone, in die der Gesetzgeber die Dienstleistung Prostitution gestellt hat.
Auf die Null-Frage der Moderatorin „Warum soll eine Frau Hure werden?“ gab die kluge Frau Molloy keine Antwort - wer so fragt, dem müßte das Geld für die Dienstleitung Talk -Moderation verweigert werden - aus der Frankfurter Szene allerdings hört man, daß die seit dem 9. November laufende Akquisitionstätigkeit in der DDR äußerst erfolgreich ist: bei einem Minimum von 3.000 bis 5.000 DM netto rücken die Ostdamen in Scharen an.
Auch Alphons Silbermann (81) - Schwuler, Jude, Soziologieprofessor, Multitalent - kennt die Szene, im Unterschied zur Moderatorin, nicht nur aus den Illustrierten, die Rezensenten seiner gerade erschienen Autobiographie reagierten, je nach Gusto, entnervt bis begeistert auf die auschweifenden Geschichten des quirligen Bonvivants. Zur Zeit arbeitet Silbermann an einer Untersuchung über die Soziolgie des Badezimmers und der Toiletten - „meine Mitarbeiter nennen es die Scheißhaus -Studie“.
Herr Joop sieht aus wie ein Mode-Unternehmer aussehen sollte, aber er redet nicht wie einer: „Mode und Konsum sind in den 90er Jahren nicht mehr so wichtig.“ Wahrscheinlich hat er die Studie des Marktforschungsinstituts Grey gelesen, die unlängst eine „Neue Bescheidenheit“ prognostizierte. Zu diesem Trend gehören Bekenntnisse wie das obige bei gleichzeitiger Tendenz, statt zwei Pullovern für 100 künftig nur einen für 200 Mark zu kaufen. Also von hinten durch die Brust ins Auge. Der Lebemann Silbermann monierte Joops moralisierendes Salongejammer und schloß den Abend mit einem klaren Bekenntnis zum Stangenfieber: „Erotik ist für mich, wenn zwei im Bett liegen und bumsen.“
mbr.
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