: Die Revolution hat endlich gesiegt
■ Die Jury beugte sich dem Druck der Basis und zog die 6,0 für den Revolutionstanz der Duchesnays / Klimova/Ponomarenko zwar sauer, aber dennoch Sieger / US-Lächelwunder siegte beim Dameneiskunstlauf
Halifax/Kanada (dpa/taz) - Die Basis hat sich durchgesetzt. Unter dem Druck minutenlanger Standing Ovations von 10.000 total begeisterter ZuschauerInnen taten die Wertungsrichter der Eiskunstlauf-WM das einzig noch mögliche: Sie vergaben fünfmal die Traumnote 6,0 für die Eistanzkür der französischen Geschwister Paul und Isabelle Duchesnays. „Es muß sehr schwer gewesen sein, das zu tun“, kommentierte Isabelle Duchesnay die Meisterleistung der Jury lakonisch.
Denn bisher waren die avantgardistischen Franzosen mit ihren ausgefallenen und endlich den klassischen Eistanzmuff abschwörenden Vorstellungen auf blinde Richteraugen gestoßen waren. Zuletzte bei den Europameisterschaften in Leningrad, wo sie zum Zorn des Publikums nur Dritte wurden. In Halifax schafften sie nun mit ihrer revolutionären wie faszinierenden Befreiungskampfkür den Durchbruch. „Ich fühle mich befreit, so, als wären wir dem Tod entronnen“, freute sich der 28jährige Biologiestudent über den Gewinn der Silbermedaille.
Denn zum Gold hat es diesmal noch nicht ganz gereicht: Marina Klimowa/Sergej Ponomarenko (UdSSR) verteidigten verbissen ihren Vorjahressieg. Trotzdem war die Klimowa stocksauer von der hohen Wertung der Konkurrenten: „Einige Elemente habe ich schon bei Torvill/Dean gesehen. Und bei ihnen fand ich es besser“, stänkerte die 23 Jahre alte Moskauer Studentin. Logisch, daß sie sich ärgert, denn mit ihrer perfekten Eistanzklassik haben sie und ihr Ehemann Sergej die Spitzennoten zwar verdient, aber nicht die Sympathien des Publikums geweckt. Selbst bei der EM in Leningrad bejubelten die Russen das Trikoloreduo mehr als die eigenen Landsleute nach ihren Sieg.
Martin Skotnicky, der das französische Paar betreut, findet die Kritik ungerecht: „Das ist ganz schön bösartig. Natürlich sieht man die Handschrift von Christopher, aber wir haben keine einzige Wiederholung und völlig neue Schritte und Hebungen in der Kür. Wir machen den Eistanz der 90er Jahre und nicht der 50er.“
Für die Olympischen Spiele setzten die Geschwister nach wie vor auf ihre avantgardistische Strategie. Gefordert ist dabei vor allem Choreograph Christopher Dean, der zusammen mit seiner damaligen Partnerin Jayne Torvill mit dem Bolero das Nonplusultra des Eistanzes kreiert hatte. Der geniale Brite hofft, die aufregende Kürserie nach den Episoden Dschungel-Tango, Traum und Wirklichkeit und Mission fortsetzten zu können. „Wenn man an der Spitze ist, wird es leichter, etwas Neues zu machen und durchzusetzen“, meint Dean .
Viermal die 6,0 gab es am Samstag auch im Dameneiskunstlauf, und ebenfalls „nur“ für die Silbermedaille. Die Titelverteidigerin Midori Ito aus Japan erhielt für ihre schwierige Kür zwar die Höchstwertung, mußte sich von ihrem Titel jedoch verabschieden. Neue Weltmeisterin ist das Lächelwunder aus den USA, die 21jährige Jill Trenary. Deren Teamkollegin Holly Cook erlief Bronze.
Als beste Läuferin aus der Bundesrepublik erreichte Patricia Neske (Düsseldorf) Platz sieben, während sich Marina Kielmann (Dortmund) mit dem zehnten Rang zufriedengeben mußte. Diese nicht gar so rauschenden Plazierungen fügen sich nahtlos in die Gesamtbilanz der Deutschen Eislauf-Union (DEU) ein. Mit Ausnahme von Richard Zander (Oberstdorf) - der zweimalige Deutsche Meister wurde in einem starken Feld siebter - konnten im Paarlauf und Eistanz die offenbar viel zu hohen Erwartungen nicht erfüllt werden. Platz zwölf im Paarlauf bekamen Anuschka Gläser/Stefan Pfrengle (Stuttgart/Mannheim), während die Münchner Tänzer Petra Zietemann/Frank Ledd-Oshiro leider nicht einmal am Finale der besten zwanzig mitmachen durften.
Ein kleiner Trost für das DEU-Aufgebot war die fast fehlerfrei gelaufene Kür von „Patty“ Neske. Nach dem sechsten Platz nach dem Originalprogramm fiel sie gegen die kürstarke Konkurrenz nur um eine Position zurück. Enttäuscht war hingegen Marina Kielmann: „Ich habe versucht, das Beste daraus zu machen.“ Trotz der Stürze beim Lutz und Flip konnte sie sich noch um zwei Plätze auf den zehnten Rang verbessern. Erfolgreichste Nation bei der diesjährigen WM war die UdSSR, die fünf von zwölf möglichen Medaillen absahnte.
Michaela EISKUNSTLAUF, DAMEN: 1. Jill Trenary (USA) 5,4 Pkt.; 2. Midori Ito (Japan) 5,6; 3. Holly Cook (USA) 7,4; 7. Patricia Neske (Düsseldorf) 13,0;10. Marina Kielmann (Dortmund) 21,2
EISTANZ: 1. Marina Klimowa/Sergey Ponomarenko (UdSSR) 3,0 Pkt.; 3. Paul und Isabelle Duchesnay (Frankreich) 3,4; 3. Maia Usowa/Alexander Zhulin (UdSSR); 22. Petra Zietemann/Frank Ladd-Oshiro (München)
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