: Der Stern geht jetzt im Osten auf
■ Mercedes-Benz und das IFA Lastwagenkombinat aus Ludwigsfelde bei Berlin unterschreiben im Kempinski einen Vorvertrag für gemeinsame Nutzwagenproduktion / Detailvereinbarungen über Investitionen werden nach der Wahl und der Währungsunion ausgearbeitet
Man muß es ihnen immer wieder zugestehen, Stil haben sie, die Herren von Daimler-Benz. Nicht auf der Leipziger Messe, nicht in Stuttgart oder Ludwigsfelde wurde die „Erklärung zu einem angestrebten Joint-venture zwischen der Mercedes-Benz AG und dem IFA Nutzkraftwagenkombinat Ludwigsfelde unterschrieben, sondern im gepflegten Ambiente des Hotel Kempinski. Die Unterschriften unter das „Memorandum of Understanding“ wurden mit Champagner und Langustenschwänzen gefeiert, die Unterzeichnung war ja schließlich, wie der Daimler-Vorstandsvorsitzende Niefer und sein IFA-Kollege, Kombinatsdirektor Heinzmann, erklärten, ein „historisches Ereignis in einer historischen Stunde“.
Daimler kommt zurück nach Ludwigsfelde-Genshagen, in die „Stadt der Automobilbauer“, ca. 30 Kilometer vor Berlin; zurück in eine Stadt, die mit der Geschichte des DB-Konzerns eng verbunden ist. Genau dieses Gelände, auf dem seit 1965 die IFA-Lastkraftwagen für die DDR produziert und montiert werden, gehörte schon einmal zum Mercedesstern. 1936, im Rahmen des Göring-Vierjahresplans, wurde ein Flugmotorenwerk errichtet, Tausende von Zwangsarbeitern mußten hier bis 1945 für Hitlers Luftrüstung und Daimlers Gewinn schuften. Aber diese Zeit ist vorbei, Traditionsgefühle kommen bei Werner Niefer nicht auf - „Damals war ich zu jung“ - und die Spuren sind heute alle verwischt. Die Metaphern „Blut, Schweiß und Tränen“, Begriffe, die die noch heute lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter benutzen, um die Arbeit bei Daimler zu beschreiben, gebraucht aber auch er. Er will die Schwierigkeiten verdeutlichen, die Daimler haben wird, um das IFA-Werk konkurrenzfähig zu machen. Aber so schlimm wird es nicht werden, denn in den vielen seit November laufenden Gesprächen hat sich für Niefer herauskristallisiert, „daß wir uns von unseren Ressourcen wie von unserer Einstellung her gut als Partner eignen“.
Noch ist unklar, in welche Rechtsform das beabsichtigte Joint-venture gegossen wird, unklar auch, in welcher Höhe sich die Daimler-Investitionen bewegen werden. Klar vorgegeben ist aber das Ziel, und das heißt „Beteiligung“, wenn nicht mehr, denn „wir von Daimler Benz haben noch nie 100 Prozent auf Anhieb übernommen, das machen wir Schrittle bei Schrittle“, schwäbelte Niefer loyal. Eventuellen kartellrechtlichen Prüfungen, die abzusehen sind, wenn in ganz Europa nur noch Mercedes-Laster fahren, wird man gelassen entgegensehen.
Verabredet wurde in der Berliner Erklärung, daß der Nutzfahrzeugbau in der DDR durch eine langfristig geplante Zusammenarbeit mit Daimler-Benz ein auf marktwirtschaftliche Bedingungen zugeschnittenes Korsett bekommt. Konkret heißt das, daß der momentan produzierte IFA-LKW L60 ein den EG -Normen entsprechendes und damit exportfähiges Fahrerhaus erhält und daß die Aggregate und Motoren für eine erhöhte Nutzlast verbessert werden. Das klingt einfach, bedeutet aber in der Praxis, ein neues Preßwerk zu installieren. Solche Details sollen ausgearbeitet werden, so Niefer, wenn die „entsprechenden marktwirtschaftlichen Gesetze verabschiedet und die Währungsunion vollzogen ist“. Langfristig soll auch ein neuer Transporter auf der Grundlage von Mercedes-Planungen entwickelt werden. Weitere vorrangige Kooperationsfelder sind der „Transfer von Management-Know-how, die Zusammenarbeit in Service, Marketing und der Produktvertrieb“.
Laut Niefer und dessen für den Nutzfahrzeugbereich zuständigen Stellvertreter Helmut Werner zielt die Kooperation auf den Markt in Osteuropa. Nach ihrer Einschätzung werden dort rund 2 Millionen LKWs gebraucht. Für die DDR halten die Stuttgarter einen Jahresbedarf von 50.000 bis 60.000 LKWs für möglich, wenn nicht mehr, denn der „gute Geist des Sterns“ wird auch der DDR zum Segen gereichen. Das größte Kapital, das das Ludwigsfelder IFA -Werk in die Verlobung einbringt, ist der „Standort Berlin“, erklärte Niefer weiter, denn „Berlin ist das Tor zum Osten“, und der Osten ist weit.
Anita Kugler Siehe auch Interview auf dieser Seite
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen