: Ein Sicherheitskonzept für Europa - Deutsche Integration als Schutz vor den Deutschen?
Die ersten Beratungen der Vier-plus-zwei-Verhandlungen stehen vor der Tür, aber die Diskussion um die künftige sicherheitspolitische Einbindung eines vereinten Deutschland ist weder in der Bundesrepublik noch in der DDR wesentlich vorangekommen / Zwei taz-Interviews mit Sicherheitsexperten aus Bonn und Ost-Berlin ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Eilig hat es die Bundesregierung mit der deutschen Vereinigung - doch zu der vorerst entscheidenden Frage dieses Prozesses, nämlich welchen außen- und sicherheitspolitischen Status das künftige Deutschland haben soll, tritt die politische Debatte seit Wochen auf der Stelle.
Wenn sich morgen Ministerialbeamte beider deutscher Staaten mit ihren Kollegen der vier Siegermächte in Bonn zu ersten Beratungen im Rahmen der sogenannten „Vier-plus-zwei -Verhandlungen“ treffen, dann liegt von seiten des Gastgebers kaum mehr als eine Formel vor, hochtrabend „Genscher-Plan“ genannt: Ganz Deutschland Mitglied der Nato, aber das Teilgebiet der heutigen DDR außerhalb der militärischen Nato-Struktur.
Zunächst hatte dieses gedanklichen Konstrukt nur einen taktischen Zweck: einerseits die USA der deutschen Bündnistreue zu versichern, andererseits der Sowjetunion die bedrohliche Vision zu nehmen, an der Oder-Neiße-Grenze stünden bald Nato-Truppen.
Ein Plan wurde aus der Formel bis heute nicht, weil niemand präzisieren konnte, wie der Sonderstatus für das DDR -Territorium mit der staatlichen Einheit in der Nato vereinbart werden soll. „Wie soll man sich denn einen Verteidigungsminister der Republik Deutschland vorstellen? Darf der in Berlin sitzen, inmitten des Sonderstatus? Und wie muß man sich die Wehrpflicht für die Bürger aus dem ehemaligen Gebiet der DDR vorstellen? Und wo findet die Vorneverteidigung statt?“ Fragen, die der SPD -Sicherheitsexperte Egon Bahr Anfang Februar stellte - noch immer unbeantwortet.
Bundeswehr-Truppen sollen nach der Vereinigung nicht über die Elbe vorrücken, bekundete die Bundesregierung nach einem kurzen koalitionsinternen Konflikt zwischen den Ministern Stoltenberg und Genscher. Eine Klarstellung war auch dies nicht: Für die künftige gesamtdeutsche Armee blieb die Option offen.
So vage die Vorstellungen, so konstant ist in den Reihen der Bundesregierung die Vermessenheit: Die Sowjetunion werde schon akzeptieren, daß sich das westliche Militärbündnis die DDR einverleibt. Kritik aus Moskau, in den vergangenen Wochen lauter vernehmbar, wird larmoyant abgetan: Solche sowjetischen Töne hätten nur „psychologische“ Gründe.
Wer sich im Unionslager etwas genauer Gedanken macht, etwa der Abrüstungssprecher der Fraktion, Karl Lamers, kommt allerdings zu folgendem Schluß: Das Konzept der Bundesregierung sei so vage, daß sie auf einen sowjetischen Vorschlag für die Einordnung Deutschlands bei den kommenden „Sechser-Konferenzen“ völlig unvorbereitet sei. Lamers selbst glaubt diesen Mangel zu beheben, indem er nun die alten Pläne für eine Europäische Verteidigungsunion forciert sehen will: Deutschland in der Nato, aber auch in eine militarisierte EG eingebunden (siehe Interview).
An diese „gaullistische“ Denkrichtung in der Sicherheitspolitik knüpft ebenfalls der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine an. Anders als der CDU-Politiker Lamers scheint Lafontaine aber die gesamtdeutsche Mitgliedschaft in einer Europäischen Verteidigungsunion als direkte Alternative zur Nato-Zugehörigkeit zu sehen. Von seiten der Jungsozialisten handelte er sich damit den Vorwurf ein, er befürworte ein Militärbündnis, das „die dritte Nuklearmacht unter deutscher Hegemonie“ werden könne.
Vorerst lautet die offizielle Position der SPD noch: Eine europäische Friedensordnung unter Einschluß von Sowjetunion, USA und Kanada soll die bestehenden Miliärbündnisse ablösen. Ein derartiger, über die KSZE vermittelter Prozeß würde aber noch Jahre in Anspruch nehmen - viel zu lange für den Zeitplan der deutschen Einheit.
Würde die SPD ihre eigenen sicherheitspolitischen Bekundungen ernst nehmen, müßte sie im Zug zur Wiedervereinigung auf die Bremse treten. Da sie dies aber nicht will, müssen die Konzepte dem deutschnationalen Tempo angepaßt werden. Die ultimative Feststellung, deutsche Einheit und Nato schlössen sich aus, wie sie Egon Bahr noch beim Dezember-Parteitag abgab, ist unter der Hand der Zustimmung zum „Genscher-Plan“ gewichen. In Washington versicherten die SPD-Politiker Horst Ehmke und Dietrich Stobbe vor wenigen Tagen: „Während für das Gebiet der heutigen DDR zunächst eine Sonderlösung gefunden werden muß, werden die für das Gebiet der Bundesrepublik bestehenden Bündnisbindungen erhalten bleiben. Wir wollen weder aus der Nato austreten, noch schlagen wir ihre Auflösung vor.“
Einen konkreten Vorschlag, wie die Nato „umzubauen“ sei, damit sie in jener europäischen Friedensordnung aufgehen könne, hat bisher nur der SPD-Abrüstungsexperte Hermann Scheer gemacht: Auflösung des gemeinsamen Oberkommandos der Nato und Abzug der Atomwaffen von deutschem Boden. Aus einer umstandslosen Wiedervereinigung in der Nato könne sich schnell eine „deutsche Vormachtsposition“ entwickeln, schreibt Scheer: „Die Nato-Mitgliedschaft des vereinigten Deutschland hält dieses nicht klein, sondern macht es groß.“
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