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DIe Anderen: New York Times zur deutschen Vereinigung

New York Times

Zur deutschen Vereinigung

Als Antwort auf meine Kolumnen, die deutsche Vereinigung gehe zu schnell, erhalte ich Briefe aus Deutschland. In meinen Kolumnen war gestanden, daß die Nachbarn und Opfer Deutschlands befragt werden sollten. Einige der Briefe sind voller Wut. Aber am interessantesten sind die der jungen Deutschen. Sie stellen alle die gleiche Frage: „Sollen die Sünden der Väter an den Kindern vergolten werden? Haben nicht genau das die Nazis getan?“ Nein, genau das haben sie nicht getan. Was sie taten, war Millionen umzubringen, und nicht etwa, weil deren Väter und Mütter Sünden begangen hätten, sondern weil die Nazis von einem Haß getrieben wurden und beide, Eltern und Kinder, vom Angesicht der Erde hinwegfegen wollten. Diejenigen von uns, die weiter bei dem Gedanken an ein vereintes Deutschland nervös werden, müssen sich der ersten obigen Frage stellen. Wenn eine Nation Schuld auf sich lädt, soll die Schuld von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden? Ich glaube, die Antwort ist: Schuld nein, aber Erbe ja. Unsere Eltern hinterlassen uns ein Erbe, dessen Last manchmal schwer zu tragen aber nicht abzulegen ist. Nazideutschland hat dem heutigen Deutschland eine solches Erbe aus Mißtrauen, Abscheu und Angst in einem guten Teil der Welt hinterlassen.

Wenn junge oder alte Deutsche dies bestreiten, dann laufen sie Gefahr, die Wahrheit zu leugnen. Die Nervosität nimmt von Tag zu Tag zu - seien es Polen, die sowjetische Truppen auf ihrem Boden halten wollen, seien es europäische Staaten, die unbedingt Teil des Vereinigungsprozesses sein wollen.

Nur in den USA gibt es keine richtige Diskussion. Warum? Kanzler Kohl brachte es auf den Punkt: Der Westen hätte die Vereinigung schon unterstützt, als noch niemand damit rechnete. Schon vor Jahren hätten sich westliche Regierungen auf Ängste und Probleme im Kontext einer Vereinigung vorbereiten müssen. Sie haben es nicht getan, und jetzt werden sie Opfer ihrer eigenen Scheinheiligkeit.

Der deutsche Schriftsteller Günter Grass argumentiert, das Recht der Deutschen auf Selbstbestimmung müsse hinterfragt werden in Anbetracht der Tatsache, daß ein vereintes Deutschland eine Vorbedingung für Auschwitz war. Ich aber meine: Es muß mehr darüber geredet werden, wie man die Vereinigung zu einem vorsichtigen Prozeß gestaltet, der nicht nur deutsche Politiker angeht, sondern alle. Es gibt keine Garantien gegen das Gestern. Aber in die deutsche Regierung könnte man Sicherheitsvorkehrungen einbauen, die internationale Verantwortlichkeit akzeptiert. Für niemanden ist dies wichtiger als für die Erben - junge Deutsche ohne Schuld.

Arthur M. Rosenthal

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