: Kritik an Kronzeugenverfahren
■ Die Anwälte der in Düsseldorf angeklagten mutmaßlichen PKK-Mitglieder wehren sich gegen präjudizierendes Kronzeugenverfahren in Berlin / Centiner-Prozeß „nur noch Showbusineß“
Berlin(taz) - Auf die verheerenden Konsequenzen der umstrittenen Kronzeugenregelung haben gestern die Verteidiger aus dem Düsseldorfer „PKK-Verfahren“ hingewiesen: „Die Entscheidungskompetenz zur Anwendung des Kronzeugenbonus liegt faktisch allein bei den Ermittlungsbehörden. Nur diese können ausgehend von ihrem Erkenntnisinteresse die Relevanz der Angaben des Kronzeugen bewerten. Das Gericht hat keine Möglichkeit diese Wertung tatsächlich zu überprüfen“, erklärten die Rechtsanwälte Biskamp und Schoenian vor Journalisten in Berlin. Ihr Schluß: „Das Ganze hat mit Wahrheitsfindung nicht zu tun.“ Die Kronzeugenregelung sei „rechtsstaatswidrig“ und müsse sofort abgeschafft werden.
Die Rechtswälte gingen im Zusammenhang mit dem Fall des 36jährigen Kurden und PKK-Dissidenten Ali Centiner an die Öffentlichkeit. Centiner muß sich in Berlin wegen Mordes verantworten. Wie berichtet steht in dem Prozeß zum ersten Mal die Anwendung der im vergangenen Jahr verabschiedeten Kronzeugenregelung für sogenannte „terrorristische Straftäter“ zur Debatte. Centiner wird von der Bundesanwaltschaft offen als Kronzeuge für das Düsseldorfer „PKK-Verfahren“ gehandelt. Dem Inhaftierten - der in seinem Geständnis einen der Düsseldorfer Angeklagten schwer belastet hat und mit anderen Aussagen zu insgesamt 16 Haftbefehlen gegen mutmaßliche PKK-Angehörige beigetragten haben soll - wurde von der Generalbundesanwaltschaft ein erheblicher Strafrabatt in Aussicht gestellt.
Vor ihrer Pressekonferenz hatten Biskamp und Schoenian die Verhandlung im Centiner-Prozeß beobachtet. „Man hat den Eindruck, daß das nur noch Showbusineß ist“, sagte Schoenian unter Hinweis auf die „völlig unkonkrete“ Aussage eines gestern vernommenen Zeugen. Sie sei weder vom Gericht noch von der Verteidigung oder Staatsanwaltschaft „ernsthaft hinterfragt“ worden. Biskamp bezeichnete den Berliner Prozeß als „reinen Propagandafeldzug“ der Bundesanwaltschaft (BAW) mit Blick auf das Düsseldorfer Verfahren. Wenn Centiner tatsächlich in den Genuß eines Kronzeugenrabatts komme, dann sei das präjudizierend für das PKK-Verfahren. Damit werde für die Düsseldorfer Richter eine Hürde aufgebaut, über die sie sich hinwegsetzen könnten, wenn sie bereit seien, das Berliner Urteil als „unsinnig“ zu bezeichnen. Biskamp hält dies für unwahrscheinlich. „Was für ein RÜckrat“, fragte Biskamp, „soll das Düsseldorfer Oberlandesgericht haben, um das durchzusetzen?“
Plutonia Plarre
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