Im Grenzgebiet

■ Uraufführung des „Glühend Männla“ von Kerstin Specht

Verschiedene Versionen von Konsumglück stoßen aneinander an der einzigen Grenze, die in diesem Stück existiert, an der deutsch-deutschen Grenze. In dem Theaterstück von Kerstin Specht ist es ein fiktiver Ort im Frankenwald, im Zonenrandgebiet, wo drei Generationen nebeneinander, ja gegeneinander leben. Und zwar ohne Grenzen.

Ein sauber gekachelter Raum, Mobiliar auf Rädern, inklusive Telefon und Nachttopf: Grenzenlos gehen die Lebensbereiche ineinander über. Privatheit wird sich hier nicht einstellen. Im Verlauf des Theaterabends verwandelt sich diese Sagrotan -saubere, funktionale Bühne in ein Schlachtfeld, in ein Chaos ekliger Überreste: Der familiäre Kleinkrieg hinterläßt Spuren.

Im Januarheft von 'Theater heute‘ wurde die junge Autorin (Jahrgang 1956) vorgestellt und ihr erstes Bühnenstück Das glühend Männla abgedruckt, so daß die Erwartung auf die Uraufführung in der Bonner Werkstatt hochgespannt war. Stephan Barbarino, der kürzlich in Düsseldorf Achternbusch inszeniert hat, führte Regie. Die Oma sitzt aufrecht auf der Küchenbank und glotzt vor sich hin, der Fernseher flimmert bunt und glotzt die Oma an, die Mutter glotzt durch ihr Fernglas ins Publikum. Die Blicke gehen hier paradoxe Wege, nicht nur, daß die Zuschauer angeschaut werden. Die Mutter beäugt die Nachbarin, bricht in deren Privatsphäre ein, indem sie über die Distanz ein quälendes Spielchen inszeniert. Blickwechsel jedoch gibt es nicht, die Figuren starren aneinander vorbei. Die grenzenlose Nähe zwischen ihnen hat zur Folge, daß sie Blickkontakt vermeiden.

Oma, Mutter und Sohn existieren bloß nebeneinander her: Die alte Frau ergänzt ihre öde Gegenwart durch beschönigende Erinnerungen. Nur als finanzieller Rückhalt ist sie Bezugspunkt der Familie, eine Machtposition, aus der sie vor allem den Enkel an sich zu binden versucht. Die Gebrochenheit und den Humor dieser Figur vermittelt Grete Wurm überzeugend. Verbittert, eiskalt ist ihre Tonlage, nur gelegentlich blitzt ein verschmitztes Lachen auf. Ihre Rivalin ist die Mutter, die ihrerseits den Sohn an sich fesselt - am Ende fesselt sie ihn tatsächlich an einen Stuhl. Ihr Mann hat sich erhängt, die Frau im Stich gelassen, so daß sie nun den Sohn nicht loslassen will. „Mein Bub. Bist doch mein Einziges auf der Welt. Häng dich net an solche Gsteckla.“ Verzweifelt ist sie bemüht, das erwachsen werdende Bubela, ihr glühend Männla, mit Leckereien, mit Kuchen, mit Saft und warmer Milch in der mütterlichen Abhängigkeit festzuhalten. Der bösen Sprache jedoch traut Traute Hoess offenbar nicht: Sie flüchtet sich in laute, heftige Auftritte und lächelt dazu, und wirkt damit schlichtweg peinlich. Auch der Sohn (Ralf Beckord) kommt über das Klischee des unglücklichen Jugendlichen nicht weit hinaus, seine Achtlosigkeit gegenüber den anderen nimmt sich beliebig aus, ohne Konturen. Er nutzt die beiden Frauen aus, läßt sich bedienen und beschenken, aber letztlich entzieht er sich und sucht bei der Freundin Zuflucht. Das Leiden darin wird nicht sichtbar, doch immerhin, die Sprache verrät es: „Der Tod ist eine Frau.“

33 knappe Szenen. So fragmentarisch die Handlung, so abgerissen die Sprache, messerscharfe Wortwechsel, die keine Verständigung herstellen. Diese Kunstsprache wie auch die Sprach- und Wortspiele verfremden und schockieren: Ja, so reden die Leute. Da erstickt das Lachen über ein paar witzige Regieeinfälle. Der stilisierte Dialekt erweist sich allerdings als problematisch, denn leider vermögen die Bonner Schauspieler mit ihrem fränkischen Einschlag nicht zu überzeugen, der wirkt oft eher bemüht.

Die Brutalität der Sprache kennzeichnet nicht nur die Beziehungen in der Familie. Die Krankenschwester beispielsweise, die sich um die Oma kümmern soll, redet mit ihren fröhlichen Floskeln an der alten Frau vorbei. Der Freund Berthold braucht die Mutter nur zur Befriedigung seiner sexuellen Gier, auch ihn dekuvriert sein häßliches Gerede. Die verbale Gewalt steigert sich immer mehr zu physischer und sexueller Gewalt: Die Oma schneidet sich in ihrer einsamen Verzweiflung mit einer Weinflasche den Mund blutig. Der Sohn gießt der betulichen Mutter kochende Milch übers Bein. Am Ende bedroht er seine Freundin, zuerst mit Worten, auf die er immerhin Widerspruch zu hören bekommt, schwach allerdings: „Sag nicht solche Sachen. Meinst es doch nicht so.“ Doch dann erzwingt die fatale Vorgeschichte gewissermaßen, daß die Worte Wirklichkeit werden - „Gewalt spüren“, sagt er über die Frauen, „das wollen sie... Weil, das ist wirkliches Interesse“ - und er ersticht Anke.

Den Zirkel der Familie zu durchbrechen, gelingt nicht, die Bindungen sind tödlich: So viel Haß kann offenbar kein Mensch in Worten abbauen. Sie alle verachten sich selber, mit Worten schlagen sie aufeinander ein. Dabei verselbständigt sich die Sprache, der Mord ist nur die letzte Konsequenz.

Die Bonner Inszenierung nimmt insgesamt den entsetzlichen Verstrickungen die Schärfe, spielerisch, ja komisch kommt sie phasenweise daher. All der Lärm, die rohen Eier, die Beleuchtungseffekte, stellen auch keine Spannung her, denn die liegt in der Sprache. Nicht die kargen materiellen Bedingungen sind es, die die verdinglichten Beziehungen verursachen. Kerstin Specht zeigt vielmehr, wie die Leute die Sprache als Mittel einsetzen, sich gegenseitig zu gebrauchen und wegzuwerfen. Also nicht ein weiteres kritisches Volksstück im Dialekt, sondern ein Stück über die Macht der Sprache.

Barbara von Bechtolsheim

Die nächsten Aufführungstermine: 14. und 15. März.