: Gegen den antisozialistischen Strom schwimmen
Die Position der „Vereinigten Linken“ zu den Perspektiven der DDR-Gesellschaft / Planwirtschaft von „unten nach oben“ realisieren - durch umfassendes System von Betriebs-, Konsum- und Kommunalräten / Skepsis, ob stalinistisch deformiertes Volk das noch hören will ■ Aus der Hauptstadt Walter Süß
Die „Initiative Vereinigte Linke“ (VL) gehört zu den Bürgerrechtsorganisationen, die im Herbst 1989 - vor der Wende - im Zeichen wachsender gesellschaftlicher Unruhe entstanden sind. Als ihre InitiatorInnen Anfang September 1989 die „Böhlener Plattform“ veröffentlichten, schwammen sie gegen den Strom und sie tun es wieder. Die VL hält an sozialistischen Positionen fest und betrachtet die Vereinigungswünsche vieler MitbürgerInnen mit größter Skepsis.
Die Organisation ist keine Partei, sie ist dezentral organisiert und laut Statut sind Einzelmitgliedschaft und die Mitgliedschaft von Organisationen (unter anderem der Bund Unabhängiger Sozialisten und die Demokratischen Sozialisten) möglich. Wieviele Mitglieder die VL hat, ist schwer abzuschätzen. In Berlin kommen zu den Vollversammlungen etwa zweihundert Menschen, vorwiegend aus der Intelligenz, darunter viele ehemalige SED-Mitglieder. Außer Berlin sind weitere regionale Schwerpunkte Dresden, Leipzig, Halle und Frankfurt/Oder. In den letzten Wochen stoßen gerade jüngere Leute in verstärktem Maße zu dieser Organisation. Meinungsumfragen sagen der VL bei den Volkskammerwahlen einen Stimmenanteil von etwa einem Prozent voraus. Die VL, die auf Platz 1 des Wahlzettels steht, wird zu diesen Wahlen in einem gemeinsamen „Aktionsbündnis“ mit den „Nelken“ kandidieren. Ein Versuch, gemeinsam mit den im „Bündnis 90“ zusammengeschlossenen, anderen Bürgerrechtsorganisationen anzutreten, ist - aus Sicht der VL - an den anderen Organisationen gescheitert: Sie haben nicht zusammengehen wollen, weil die Positionen der VL „zu links“ und derzeit wenig populär sind.
Im folgenden berichten wir über ein Gespräch, daß die taz in der vergangenen Woche mit Thomas Klein (42) führte. Er ist Mitglied des Berliner Sprecherrates der VL, ihr häufigster Vertreter am zentralen „Runden Tisch“ und Spitzenkandidat seiner Organisation im Bezirk Berlin. Klein ist von Beruf Mathematiker, wurde 1980 für fünfzehn Monate inhaftiert, weil er gegen Berufsverbote in West und Ost agitiert hatte. Alle Zitate im folgenden Text stammen aus dem Gespräch mit Klein.
Im September/Oktober 1989 gingen die Menschen noch mit dem Anspruch auf die Straße, eine eigenständige Perspektive gegen den „Stalinismus“ für sich in der DDR zu entwickeln, ihre trotzige Parole: „Wir bleiben hier!“. Davon ist nur noch wenig zu spüren. Klein hängt das vor allem mit drei Faktoren zusammen: „Die politische Willensbildung wurde okkupiert durch Parteien“, die sich an den Verhältnissen in der Bundesrepublik orientieren. Zweitens hat die Regierung versagt. Sie ist „vor dem Druck von rechts zurückgewichen“ und ihre Ansätze zu einer „Reform (ist) in Ansätzen steckengeblieben“. Vor allem aber ist diese Reformpolitik von vornherein falsch angepackt worden. Sie vermittelte den Menschen den Eindruck, sie stünden vor der Alternative entweder Kapitalismus oder aber es werde „ein neues Experiment mit ihnen“ veranstaltet. Sie wurden wieder zum Objekt gemacht und hatten nicht die Chance, die „kollektive Erfahrung der Entwicklung einer Alternative“ zu machen, also die Gestaltung ihres Schicksals selbst in die Hand zu nehmen.
Der Ansatzpunkt für die Alternative der VL, mit der sie glaubt, auch das Problem der niedrigen Produktivität der DDR -Wirtschaft bewältigen zu können, besteht in der Überwindung der „Demoralisierung“ und des „Desinteresses der Produzenten“. Dieses Desinteresse wurzelt in der „gröblichen Verletzung des Leistungsprinzips“ und „in der Abwesenheit jeglicher Form von Mitbestimmung“. Die positive Alternative bestünde darin, zur betrieblichen Selbstverwaltung überzugehen und eine „tatsächliche Planwirtschaft“ einzuführen. Bisher nämlich - so Klein - herrschte in der DDR „eine besonders gefährliche Form der Planlosigkeit“: „Subjektivismus mit Durchsatz über eine Kommandowirtschaft“. Planung, die diesen Namen verdient, könne dagegen „nur organisch, das heißt von unten nach oben realisiert“ werden, über Betriebsräte, Konsumentenräte auf kommunaler Ebene usw. Auf „oberster Ebene“ müßten „wirklich legitimierte Organe der Volkssouveränität die Maßgaben setzen“.
Es wurde von dem taz-Gesprächspartner der Einwand vorgebracht, daß demokratische Strukturen die Gefahr des Interessenpartikularismus in sich bergen und gerade deshalb bei gesamtgesellschaftlicher Planung die Tendenz zu verselbständigtem Zentralismus immer gegeben ist. Ein Beispiel: Die Belegschaft des AKWs Greifswald ist schwerlich aus eigenen Stücken bereit, ihren Arbeisplatz zu liquidieren. Könnte man sich eine Schließung dieser Gefahrenquelle im gesamtgesellschaftlichen Interesse anders vorstellen als auf Beschluß zentraler Institutionen?
Dazu Klein: „Im Rahmen unserer Vorstellungen stellt sich die Frage ganz anders. Für die Beschäftigten eines solch großen Unternehmens wird sich die Frage an der Antwort darauf entscheiden, welche Perspektiven sie haben.“ „Konfliktlösung in einer Gesellschaft, wie sie uns vorschwebt, wird einschließen, daß alle die, die im Rahmen von umfassenden Strukturveränderungen ihre bisherige Arbeit aufgeben müssen, eine wirkliche Perspektive haben. Sie sollen nicht auf irgendeine höhere Einsicht vertrauen und im Sinne dieser Einsicht persönliche Opfer bringen müssen, sondern die gesamte Gesellschaft wird dafür verantwortlich sein.
Thomas Klein und seine MitstreiterInnen sind sich dessen bewußt, daß solche demokratisch-sozialistischen Ideen in der DDR gegenwärtig wenig populär sind und keine aktuellen Durchsetzungschancen haben. Klein: „Wir sind keine Phantasten und wir werden nicht behaupten, daß das, was ich skizziert habe, Tagesaufgabe ist. Tagesaufgabe ist die Verteidigung der Interessen der Bevölkerung gegen den Sozialabbau und die bevorstehende Massenarbeitslosigkeit, die im Rahmen eines Sofortanschlusses die tatsächlichen Probleme konstituieren werden. Aber wir sind überhaupt nicht der Meinung, daß wir darauf verzichten sollten, der Bevölkerung deutlich zu machen, welche Perspektive wir vertreten.“ „Auch die Grünen haben sich in der Bundesrepublik zu einer Zeit, als der gesellschaftliche Konsens gegen die Kernenergie überhaupt noch nicht da war, eindeutig zu einer solchen Perspektive bekannt, ohne zu fragen, ob sie damit schon in einem opportunistischen Sinne die Mehrheitsposition repräsentieren. Wir machen uns keine Illusionen. Nach 40 Jahren Stalinismus wird in der DDR niemand mehr begeistert hinter einem Versuch stehen, der etwas ist, was alle zusammen in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung selbst machen.“
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