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Opposition aus Stasi-Sicht

Die Geschichte der Oppositionsbewegung 1989 hat nur die Stasi geschrieben / Mielke am 31.8.1989: „Wir haben die Sache einigermaßen im Griff“  ■  Aus Ost-Berlin Klaus Wolschner

Die Geschichte der DDR-Oppositionsbewegung im Jahre 1989 ist bisher nur an einer Stelle geschrieben worden: bei der Staatssicherheit. Eine Auswahl dieser Lageberichte wird in den nächsten Tagen vom neuen Basisdruck-Verlag in Ost-Berlin veröffentlicht. Die Dokumente geben Einblick in die Arbeitsweise des Amtes - vor allem aber werfen sie die im Vorwort so formulierte Frage auf: „Hielt (der Apparat; d.Red.) die vorgegaukelte Welt der Massenaufmärsche und Erfolgsmeldungen wirklich für die Realität?“

Die Stasi-Archive enthalten Lageberichte seit 1950; das Buch beginnt mit dem Stasi-Bericht über „Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte in Leipzig im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg“ am 7. Januar 1989. Solche Berichte geben wieder, was jeder Teilnehmer sehen und hören konnte - die Stasi hatte aber „streng interne Hinweise“ etwa auf ein Telefongespräch eines Aktivisten mit Gerd Bastian in der Nacht vom 14. zum 15.1.89.

Die Staatssicherheit verfolgte die Aktivitäten der Opposition, sie versorgte die Regierung aber auch mit detaillierten Berichten über die soziale Zusammensetzung der Ausreiseantragsteller und - im Spätsommer einigermaßen ungeschminkt - über die soziale Unzufriedenheit, die zu der Fluchtwelle über Ungarn führte.

Noch am 31.8.1989 faßte Stasi-Minister Mielke die Lage so zusammen: „Wir haben die Sache einigermaßen im Griff.“ Gleichzeitig fragt er, warum so viele gehen, wenn sie doch wie in den Berichten betont wird - die „Vorzüge des Sozialismus“ anerkennten. Den Stasi-Chef von Gera, Oberst Dangriess, hatte er zuvor provokativ gefragt: „Ist es so, daß morgen der 17. Juni ausbrechen wird?“ Antwort Dangriess: „Der ist morgen nicht, der wird nicht stattfinden, dafür sind wir ja auch da.“ In der Lagebesprechung ging es auch schon mal um konkrete Sorgen - im Bezirkskrankenhaus Karl -Marx-Stadt müssen „die Krankenschwestern, wenn es regnet, mit Eimern durchs Krankenhaus“. Mielke erbost: „Wenn du es seit 1980 weißt, dann hättest du ein paar Dachdecker organisieren können...“

Die Staatssicherheit rät der Partei, „in die Offensive zu führen“, die Massenorganisationen sollen mobilisiert werden, mit jedem Ausreiseantragsteller soll einzeln durch „gesellschaftliche Kontaktleute“ geredet werden - ohne Erfolg. Als eine sozialdemokratische Partei gegründet wird, schlägt die Stasi dem Politbüro eine abgestufte Reaktion vor: Drohungen zur Einschüchterung, notfalls Verbot - vor harten Repressionsmaßnahmen schreckt die Stasi aber zurück. Im November registrieren die Lageberichte, daß auch Parteimitglieder offen ihre Unzufriedenheit artikulieren. Anfang November - schon unter Egon Krenz - weist Mielke seine Dienststellen an: „Absolute Hausbereitschaft für 50% des Ist-Bestandes der Diensteinheiten...“ Siehe Dokumentation auf Seite 10

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