Zürich-betr.: "Rote Mehrheit in Züri", taz vom 6.3.90

betr.: „Rote Mehrheit in 'Züri'“, taz vom 6.3.90

So einfach, wie Ihr Euch vorstellt, ist die Lage im „roten“ Zürich auch nicht. Die SP hat nicht die Mehrheit in der Regierung, weil fünf Parteimitglieder dort sitzen, sondern die rot-grüne Mehrheit setzt sich aus drei (offiziellen) SPlerInnen, einem grünlichen Evangelischen (EVP) und einem Christlichsozialen (CVP) zusammen. Obwohl die letzten beiden formell bürgerlichen Parteien angehören, vertreten sie seit längerem grüne Positionen. Die restlichen zwei SP -VertreterInnen wurden weder von der SP aufgestellt noch portiert. Dies ist eine Spätfolge der Jugendbewegung von 1980. Um die traditionell und gewerkschaftlich orientierten Teile der SP nicht zu ärgern, wurden sie nicht ausgeschlossen; ein echt „helvetischer“ Kompromiß also. Allerdings stimmten in der Vergangenheit die beiden Dissidenten in wichtigen Fragen oft mit den Bürgerlichen.

Es gibt noch einen anderen wichtigen Aspekt bei diesen Wahlen: Von den 125 Mitgliedern des Gemeinderats (Parlament) sind neu 40 Frauen, also fast ein Drittel. Anteile, die für Schweizer Verhältnisse atemberaubend sind. Alleine die SP -Fraktion hat 22 Frauen (bei einem Bestand von 47). Die Kräfte links der SP sammelten sich in „Züri 1990“, einem lockeren Haufen, der aus POCH, PdA, SAP und bisher unorganisierten Leuten besteht. Die Frauenliste FraP (Frauen, macht Politik!), die weder Geld für Inserate hatte noch von der Öffentlichkeit beachtet wurde, holte sich auf Anhieb drei Sitze.

Was „unsere“ neue Regierung im Wasserkopf des real existierenden Schweizer Kapitalismus ausrichtet, wird sich zeigen. Weder Wirtschaft noch Dienstleistungsbetriebe zeigen sich speziell beunruhigt, was verdächtigt stimmt. Über Arbeitsmangel braucht sich der Stadtrat nicht zu beklagen: Drogenelend, Wohnungsnot, Obdachlosigkeit und Stadtzerstörung geben genug zu tun. Die militanten Bewegungen lassen sich den Schneid auch von einer SP -Regierung nicht abkaufen.

Beat Müller, Zürich