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Standpunkt zum Vorgehen gegen die Gründung einer „SDP“ in der DDR

Mit Schreiben vom 7.Oktober 1989 wurde dem Ministerium des Inneren die Gründung einer Sozialdemokratischen Partei in der DDR mitgeteilt. (...) Unterzeichner der Mitteilung ist der Bürger Böhme, Chodowieckistr. 41, Berlin, 1055, der sich als Geschäftsführer ausgibt. Eine entsprechende Legitimation ist der Mitteilung nicht beigefügt.

Außerdem ist ein Material vom 12.September 1989 bekannt, welches die Unterschrift des genannten Böhme und weiterer drei Personen trägt und folgende Überschrift hat:

Zum Aufruf der Initiativgruppe „Sozialdemokratische Partei in der DDR„

Dieses Material bezieht sich offensichtlich auf den in der „Gründungsurkunde“ genannten Aufruf der Initiatoren zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei in der DDR, der seit dem 26.August 1989 verbreitet wird. (Dieser Aufruf liegt gegenwärtig nicht vor.)

Aus diesen Schriftstücken ergibt sich zweifelsfrei die Verfassungswidrigkeit und antisozialistische Grundorientierung dieser „Organisation“.

Ihr Inhalt richtet sich:

-gegen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse, die in Artikel 1 der Verfassung postuliert ist; (...)

-dagegen, daß die DDR als ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land ist (vgl. Art. 1 der Verfassung); (...)

-gegen den demokratischen Zentralismus als das tragende Prinzip des Staatsaufbaus (vgl. Art. 47 Abs. 2 der Verfassung), indem sie die „strikte Gewaltenteilung“ und eine „parlamentarische Demokratie“ fordern;

-gegen die sozialistische Planwirtschaft (vgl. Art. 9, Abs. 3 der Verfassung), indem sie eine „soziale Marktwirtschaft“ fordern;

-gegen die im FDGB vereinigten freien Gewerkschaften als die umfassende Klassenorganisation der Arbeiterklasse (vgl. Art. 44 der Verfassung), indem sie „Freiheit der Gewerkschaften“ offensichtlich außerhalb des FDGB fordern.

Mit ihren programmatischen Orientierungen und der Aufforderung, „mit allen, die sich zu diesen Grundprinzipien zusammenfinden, solidarische und verbindliche Organisationsformen (zu) suchen“, rufen sie zur organisierten, verfassungswidrigen Tätigkeit auf.

In den „Aufrufen“ und der „Gründungsurkunde“ wurde jede Bezugnahme auf den Sozialismus in der DDR vermieden. Damit wird die größte Errungenschaft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in der DDR negiert. Auch das widerspricht den Grundsätzen und Zielen der Verfassung.

Vorschlag zum Vorgehen:

1. Durch die zuständige Abteilung des ZK der SED sollte veranlaßt werden, daß für die offensive Auseinandersetzung mit den verfassungswidrigen programmatischen Zielen der „SDP“ und der Erläuterung der historischen Bedeutung der Vereinigung von KPD und SPD sowie der Tätigkeit des demokratischen Blocks eine umfassende Argumentation erarbeitet wird.

Sie sollte Grundlage für die offensive Arbeit der Grundorganisationen der Partei, der Blockparteien, der Massenorganisationen, der Ausschüsse der Nationalen Front, der Staatsorgane und Massenmedien sein. Damit müssen Voraussetzungen geschaffen werden, um dieser verfassungswidrigen Organisation und eventuellen anderen Bestrebungen zur Parteibildung politisch den Boden zu entziehen.

2. Es werden folgende Varianten des Vorgehens für möglich gehalten:

Variante 1

Ein Vorgehen auf der Grundlage der Verordnung vom 6.November 1975 über die Gründung und Tätigkeit von Vereinigungen wäre nur möglich, wenn davon ausgegangen wird, daß die „SDP“ keine politische Partei ist, da §14 Abs.1 Buchst.a der o.g. Verordnung ausdrücklich festlegt, daß ihre Bestimmungen nicht für die politischen Parteien gelten.

Das könnte so begründet werden, daß in §14 Abs.1 Buchst.a der o.g. Verordnung nur diejenigen Parteien erfaßt werden, die mit Inkrafttreten der Verordnung bestanden. Außerdem ist davon auszugehen, daß von einer Partei nicht gesprochen werden kann, da weder ein Statut oder eine Satzung noch eine rechtlich relevante Gründungsurkunde vorliegt. Auch die Mitglieder des Vorstandes wurden in der Mitteilung nicht genannt und die Legitimation des Geschäftsführers nicht vorgelegt.

Davon ausgehend, ist vorzuschlagen, in einer mündlichen Aussprache mit dem Böhme folgendes mitzuteilen:

„Ihre Mitteilung vom 7.Oktober 1989 ist beim Ministerium des Innern eingegangen. Prüfungen haben ergeben, daß alle rechtlichen Erfordernisse und Voraussetzungen zur Gründung eines derartigen Zusammenschlusses nicht beachtet wurden (Anmeldung der beabsichtigten Gründung, formgebundener Antrag auf staatliche Anerkennung, dem das Statut, die personelle Aufstellung der Leitung, Angaben über die Mitgliederstärke und das Protokoll der Gründungsversammlung beizufügen sind).

Der verbreitete Aufruf sowie das Material unter der Überschrift

Zum Aufruf der Initiativgruppe „Sozialdemokratische Partei in der DDR„

weisen eindeutig die antisozialistische Grundorientierung und Verfassungswidrigkeit des vorgesehenen Zusammenschlusses nach.

(Das kann auf der Grundlage dieses Standpunktes begründet werden.)

B. ist abschließend darüber zu belehren, daß aus den vorgenannten Gründen, gestützt auf Artikel 29 der Verfassung und Paragraph 1 Abs.2 der Vereinigungsverordnung, eine Anmeldung keine Bestätigung finden würde, bisher rechtswidrig vorgenommene Gründungshandlungen rückgängig zu machen und weitere Gründungshandlungen zu unterlassen sind.

Bei Nichteinhaltung muß mit rechtlichen Konsequenzen gerechnet werden.

Variante 2

Wird der Variante 1 nicht gefolgt und dieser Zusammenschluß als politische Partei betrachtet, sollte in Betracht gezogen werden, daß durch die Volkskammer oder eines ihrer Organe eine Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der „SDP“ getroffen wird. Dabei wäre von der sinngemäßen Anwendung des Artikels 89 Abs.3 auszugehen, da keine speziellen Rechtsvorschriften vorliegen.

Variante 3

Der Generalstaatsanwalt der DDR wird beauftragt zu prüfen, ob die bisherigen Handlungen zur Gründung einer „SDP“ strafrechtlich relevant sind. Im Ergebnis sind entsprechende Entscheidungsvorschläge zu unterbreiten.

(Diese Variante könnte sowohl unabhängig von Variante 1 und 2 als auch in Verbindung mit Variante 2 und bei erfolglosem Vorgehen gemäß Variante 1 zur Anwendung kommen.) (...)

Mit sozialistischem Gruß, Friedrich Dickel, Armeegeneral, 17.10.89

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