: Kohl hat aufs falsche Pferd gesetzt
■ Mit dem Rücktritt ihres Zugpferdes Schnur hat die von der West-CDU unterstützte „Allianz“ abgewirtschaftet
Trotz der Bemühungen seitens der bundesdeutschen CDU und der deutschnationalen Postille 'Bild‘ noch vor wenigen Tagen, des DA-Vorsitzenden Ehre zu retten, hat sich Wolfgang Schnur dem Druck, der jetzt verstärkt aus Bonn kam, schließlich gebeugt und das Handtuch geworfen. Damit haben Kanzler Kohl und seine Parteifreunde eindeutig falsch kalkuliert. Der „Fall Schnur“ dürfte sich auf die Chancen der konservativen „Allianz für Deutschland“ aus den Parteien DA, CDU und DSU für die Wahl am Sonntag nicht unerheblich auswirken.
Für Bundeskanzler Helmut Kohl und die CDU hat sich die Suche nach BündnispartnerN in der DDR als großer Flop erwiesen. Der Rücktritt von DA-Chef und Ex-Stasi-Informant Wolfgang Schnur kann den Auflösungsprozeß der immer schon brüchigen „Allianz für Deutschland“ nicht aufhalten. Der Zusammenschluß von DA, CDU und DSU, Wahlkampfverein und Plattform für den Bundeskanzler, löst sich gerade noch rechtzeitig vor der Wahl selbst auf. Dabei hatten CDU und CSU nie mehr als Wohlverhalten von den Parteivorsitzenden der Allianzparteien erwartet. Doch just in der „heißen Phase“ des Wahlkampfs gerieten ihre Günstlinge in die Negativschlagzeilen. Doch daß nun grade der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruch die CDU so arg in Verlegenheit bringt, ist für die Christdemokraten bitter. Denn der DA hat sich als der unscheinbarste Bündnisparter und vor allem als marginaler politischer Faktor in der DDR entwickelt.
Als sich der Demokratische Aufbruch im Sommer 1989 gegründet hat, war nicht im mindesten absehbar, daß sich die Gruppe zur Partei wandeln und Bündnispartnerin von CDU und CSU West werden könnte. Der Aufbruch stellte sich ganz im Gegenteil als sozialistisch ausgerichtete Gruppierung dar. Einer der Gründungsmitglieder, Edelbert Richter, sagte im September in einem Interview: „Nicht nur das Wort sozialistisch, sondern auch bestimmte gesellschaftliche Prinzipien des Sozialismus haben für uns nach wie vor einen guten Klang.“ Die Distanz des DA zum real existierenden Sozialismus war für die Gruppe keine Absage an die „Vision einer sozialistischen Gesellschaft“. Doch schon kurz darauf zerstritt sich die Organisation an der Frage: „Sollen wir Partei werden oder Bürgerbewegung bleiben?“
Die Parteibefürworter setzten sich durch. Vorsitzender wurde der 46jährige Rechtsanwalt Wolfgang Schnur. Schnur war in der Oppositionsbewegung kein Unbekannter, aber auch nicht unumstritten. Als Verteidiger von Oppositionellen hatte er auch Mißtrauen erregt. Die Verhafteten der Liebknecht -Luxenburg Demonstration vom Januar 1988 werfen ihm vor, er habe sie bewußt über die Solidaritätsbewegung im Lande im Unklaren gelassen und sie zur Ausreise in den Westen überredet.
Kaum als Parteivorsitzender gewählt, stellte Schnur schon im Dezember 1989 an den Vorstand seiner Partei die Vertrauensfrage. Ein Bürgerkomitee in Rostock hatte ihm vorgeworfen, daß er sich unrechtmäßig eine Vierzimmerwohnung angeeignet habe. Schnur überstand die Vertrauensabstimmung.
Schnur war es, der die guten Kontakte zu den bundesdeutschen Konservativen im Westen knüpfte. Zum Gründungsparteitag Mitte Dezember in Leipzig war Norbert Blüm eingeladen worden. Die Partei hatte damals viele neue Mitglieder gewonnen, vor allem im konservativen Süden. Damals erklärte Schnur allerdings noch, er verstehe sich als Vertreter einer Spannbreite, die sozialdemokratisch, sozialistisch, christlich und sozialökologisch denke und handle. Doch der verbale Versuch der Umarmung mißlang. Wenig später verließ die Gruppe um Friedrich Schorlemmer die Partei. Der DA orientierte sich rechts.
Mitte Januar zeigte sich Wolfgang Schnur in aller Öffentlichkeit mit CSU-Chef Theo Waigel. Im Leipziger Hotel Merkur wurde der erste Schritt hin zu Allianz getan. Der Bayer einte elf konservative Gruppierungen zur Deutschen Sozialen Union (DSU). Zwei Wochen später dann flickte der Kanzler, ebenfalls in Leipzig, die „Allianz für Deutschland“ aus DSU, DA und CDU-Ost zusammen. Wichtigstes Bindemittel waren die Wahlkampfgelder und das Versprechen, mit bundesdeutscher Prominenz den Wahlkampf zu unterstützen.
Eine Notlösung für die CDU. Doch die Geschichte ihrer Namensschwester in der DDR als ehemalige Blockpartei verbot es ihr, dem Beispiel der SPD zu folgen und sich nur auf die CDU zu stützen. Außerdem konnte man sich in Bonn damals nicht vorstellen, daß die DDR-Bürger der CDU-Ost Vertrauen schenken würden. Sie hofften damals mit der „Allianz“ ein breites konservatives Sammelbecken anzubieten.
Doch die drei Zöglinge Schnur, de Maiziere und Ebeling erwiesen sich als große Risikofaktoren. Nicht nur, daß keiner von ihnen politisches oder persönliches Profil entwickelte, schon bald befeindeten sie sich untereinander. Der DSU-Generalsekretär sagte am Aschermittwoch, man müsse, wolle man in der DDR politisch überleben, „auf Distanz zur CDU gehen“. Und auch DSU-Chef Ebeling nahm kein Blatt vor den Mund. Man habe die „Allianz“ nur gegründet, um dem Bundeskanzler „eine Reverenz“ zu erweisen. De Maiziere wiederum konstatierte „inhaltliche Differenzen“ mit der DSU und kündigte vorsorglich schon mal das Bündnis im Falle einer Wahlniederlage.
Der Kanzler hatte alles auf eine Karte gesetzt und hat die Wahlrunde verloren. Als er vor Wochen vom Innenministerium darüber unterrichtet wurde, daß Schnur möglicherweise Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit war, war der Zug schon abgefahren. Blieb nur die Flucht nach vorn. Demonstrativ zeigte sich der Kanzler in Bonn mit allen drei Vorsitzenden. Alle Hinweise auf die zweifelhafte Integrität des Parteivorsitzenden Schnur wurden ignoriert und als „Schlammschlacht“ im Wahlkampf zurückgewiesen. Doch es war zu spät. Rechtzeitig zur Wahl hat sich die Allianz selbst demontiert.
Brigitte Fehrle
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