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I AM A SCHNECKE

■ „Tao“ von und mit Hubsi Kramar im Cafetheater Schalotte

Wohlzutun, nicht zu schädigen, zu wirken und nicht zu streiten, empfiehlt Lao-Tse. Und nicht zu tun und nicht zu wissen, denn „Höchste Tugend weiß von der Tugend nicht; daher gibt es Tugend“.

Höchste Schauspieltugenden, die darin bestehen, den Schauspieler zum Verschwinden zu bringen, demonstriert Hubsi Kramar, Wiener Aktivist und zeitweiliger Regisseur der „Wilden Mischung“ in seinem Gastspiel im Cafetheater Schalotte. Was geschieht, wenn Butoh oder Nitsch als wiedererkennbare Spielmarken ihre Funktion verloren haben, wie zeigt man Wege auf - denn um den Weg geht es doch bei Lao-Tse - wenn die Suche selbst schon als Projekt der Lächerlichkeit preisgegeben ist?

Anders als Hermann Nitsch, den Hubsi Kramar schätzt, verzichtet er auf die bekannten Mittel des gewaltsamen Tabubruchs, verzichtet darauf, so die gewöhnliche Welt des Zuschauers aufzubrechen, um ihn woanders hinzuführen. Die Requisiten der Wiener Aktionisten werden nur ironisch zitiert; so steht am Bühnenrand eine Ketchupflasche - sie wird nicht benutzt werden - und im „worst part of the show“ wird der Kreislauf des Essens in wienerischer Gemütlichkeit mehr angedeutet als wirklich durchgeführt - es ist keine echte Scheiße, sondern nur zusammengerollter Brotteig, den der nackte Kramar erst zum After, dann zum Mund führt, und auf dem Stiefel, den er sich aus der ersten Reihe fischt und ableckt - „this was nur a little Vorgeschmack“ - wird nur ein wenig Großstadtstaub gewesen sein. Hubsi Kramar hat solche und andere Peinlichkeiten studiert, um sie jetzt auf der Bühne einzusetzen. Das Tao-Te-King als Lebensbegleitung, die Arbeit mit Jerzy Grotowski und Jerome Savary, die Suche nach Antworten auf die wichtigen Fragen der Existenz. - „Wer bin ich? Was ist der Mensch? Was ist das, was Welt genannt wird? Wie kann und soll man darin leben?“ - Fragen, die ihn bis zu den Hopi-Indianern geführt hatten, politische Theateraktivitäten auf den Straßen Wiens - „für Einsicht, gegen Militarismus“ - all dies zusammen hat Früchte getragen.

Schwarz ausgehängt ist die Bühne des ehemaligen Kinos, links im Hintergrund schlägt Christian Wasdaris während fast des gesamten Programms auf straff gespannten Trommeln zwischen Hall und Handschlag wiederholt sich Stille, und im strengen Rhythmus von Schlag/Hall/Stille beugen und strecken sich Hubsi Kramar und sein Mitstreiter Mario Gasser in meditativ gymnastischen Vorübungen: Der eine im grauen Regenmantel über nackter Haut, der andere im Anzug und gelbem Schlips. Dann folgt Bild auf Bild - beide jagen einander über die Bühne. Plötzlich klingelt das Telefon: „Ja, ja, nein, nein, ja, der ist da.“ Wenig später sitzt Kramar eingekuschelt bis über den Kopf in eine dunkle Plastikplane vor des Fernsehers grauem Schnee und versucht sich die Gesichtsöffnungen mit Klopapier zu stopfen. Bis der andere kommt, der ein offensichtlich schweres Gerät auf einem Wägelchen heranfährt. Das ist zunächst ein Preßlufthammer, der in Gang gesetzt wird und den Anzugträger über die Bühne zieht. Der Große springt ihm auf den Rücken ein ewig schönes Bild. Von der Klorolle liest Kramar dem anderen schwere Worte vor, wie es scheint, ein phantasiejapanisches Kauderwelsch, das sich nur langsam in verständliche Worte verwandelt, die sich in Fetzen aneinanderreihen und sich im Lachen der Zuschauer fortsetzen. Der Preßlufthammer wird zur Taucherflasche, ein Gartenschlauch wird angeschlossen, eine Waschmaschinentrommel dient als Taucherhelm - blau wird das Bühnenlicht ins Publikum geworfen. Der Taucher sagt kindlich: „Da ist ein Fisch. Ich deh ihm nach.“ Oder er tritt zerknirscht auf merkwürdige Worte wie einen „Seeigel“. Seltsam.

Wir sind schon woanders; statt der Trommelstreiche hört man Om-artiges, und der Taucher ist schon längst erstickt. Im Hintergrund kokettiert Kramar, nackt bis auf ein bißchen Bondage und Plastiktütchen, die nur schlecht das Geschlecht verdecken. Wankend droht der Schelm ins Publikum; nicht weil das alles nicht ernst gemeint wäre, sondern um zu sagen, daß das, was da ist, nicht mehr ist als es ist. Und doch mehr als all das ist, was auf etwas anderes verweisen könnte. Seine Nacktheit - es bleibt ein kleines Plastiktütchen um den Schwanz gewickelt - verschwindet darin. Und das ist nur noch genial (und auch komisch); daß das obszönste Klettern an einem Seil, den Hintern ins Publikum gereckt, den Stiefel abgeleckt, Brotkrumen an/in den After geschoben und in den Mund geführt, daß dies Peinlich-Obszöne ironisiert und so zum Slapstick werden kann. Am Ende wird Hubsi Kramar in einen Einkaufswagen geladen, und kündigt den härteren Teil der Show an: „So if you want to have a nice evening. Go home.“ Und Mario Gasser schleicht im Dämmerlicht als Schnecke durch die Publikumsreihen: „I take my house with me. I am a Schnecke.“ Und man ist sich sicher, daß etwas Seltenes geschehen sei, was das auch immer ist und geht, träumerisch beeindruckt, kichernd, als hätte man wieder in einem alten schönen merkwürdigen Buch gelesen.

Detlef Kuhlbrodt

„Tao“ noch heute und morgen, um 20.30 Uhr, im Cafetheater Schalotte in der Behaimstraße 22, 1/10.

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