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„Ein völlig verrückter Teufelskreis“

■ Die Kreuzberger Regenbogenfabrik ist in ihrer Existenz bedroht / Keine Verwaltung fühlt sich zuständig für die Sanierung des Grundwassers

Der Amtsschimmel schlägt aus: Die Regenbogenfabrik, Kreuzberger Kulturzentrum und eines der ersten besetzten Gebäude, ist in ihrer Existenz bedroht. Nicht genug: das Grundwasser im weiten Umkreis um die Fabrik ist verseucht. Aber keine der zahlreichen Behörden, die damit befaßt sind, zeigt sich verantwortlich. Nachdem jetzt die Finanzierung der Fabrik ausgelaufen ist, platzte deren Betreibern der Kragen: Sie bestellten die Vertreter sämtlicher Verwaltungen zur gestrigen Pressekonferenz, damit die erklären konnten, warum es keine Abhilfe gibt. Und fast alle kamen, außer der wichtigsten, der Senatsverwaltung für Finanzen.

Die Vorgeschichte der Fabrik ist ein „langer Leidensweg“, erzählte Bewohnerin Annette Schill. „Alle finden uns gut, aber keiner kann uns wirklich helfen.“ Die ehemalige Chemiefabrik in der Lausitzer Straße gehört einer Kommandit -Gesellschaft der Bellevue-GmbH, die zuvor als Vogel-Braun -Gruppe firmierte. 1981 wurde die leerstehende Fabrik besetzt, um den drohenden Abriß zu verhindern. Die Besetzer bauten einen Treffpunkt für den Kiez auf: Ein Cafe, ein Kino, mehrere KiTas und eine Fahrradwerkstatt. 1985, nach langen und zähen Verhandlungen beschloß das damals noch CDU -dominierte Abgeordnetenhaus, der Senat solle die Fabrik kaufen. Über den Kaufpreis einigte man sich mit der Eigentümerin auf 300.000 Mark. Kurz darauf bekamen die Regenbogler erst mal einen Pachtvertrag, die Senatssozialverwaltung zahlt seitdem 50.000 Mark Jahresmiete über die Selbsthilfeförderung. Alle glaubten, die Fabrik habe bald keine Probleme mehr, und der Kauf sei nur noch eine Formsache, bis 1987 die Bodenverseuchung entdeckt wurde: Chlorierte Kohlenwasserstoffe dringen - bis heute ungehindert - ins Grundwasser. Auf knapp vier Mio. Mark schätzte das Bezirksamt die Sanierungskosten, die Frage stellte sich: Wer zahlt? Nicht zahlen wollte jedenfalls der damalige Finanzsenator Rexroth. Der wollte erst prüfen, ob die Bellevue oder etwa die Voreigentümerin haftbar zu machen sei.

Bei der Prüfung blieb es bis heute. Inzwischen geriet die Bellevue ins finanzielle Trudeln, die Miete geht deshalb direkt an die Raiffeisen-Köpenicker Bank. Und nun droht der Regenbogenfabrik das Aus. Anfang des Jahres lief die - von Anfang an befristete - Selbsthilfeförderung aus, die ja als Übergang gedacht war, bis der Senat kauft und weiterverpachtet. Jetzt kauft der Finansenator aber nicht, weil er dann die Bodenverseuchung bezahlen muß. Die Bellevue will oder kann nicht bezahlen. Die Umweltsenatorin will zwar sanieren, aber erst, wenn geklärt ist, wer zahlt. Und eine Sanierung durch die Verwaltung mit Rechnung an den Eigentümer sei zwar möglich, aber „das dauert bis 1995“, hieß es gestern. Die Sozialsenatorin ist rechtlich gezwungen, die Selbsthilfeförderung zu befristen. Zwar gestand man gestern zu, noch bis zum Ende des Jahre die Miete zu tragen, aber „dann ist Schluß“, sagte ihr Vertreter. „Ein völlig verrückter Teufelskreis“, meint Bürgermeister König: „Alle sind sich einig, daß der Boden saniert werden muß, und alle sind sich einig, daß der Senat die Fabrik kauft. Auch, was das kostet, ist allen klar. Man kann sich nur nicht verwaltungsintern über die Reihenfolge einigen.“ König schlug vor, der Senat solle den Kaufpreis von 300.000 Mark - eine Summe die angesichts der Kosten für die Bodensanierung sowieso lächerlich sei - vorbehaltlich bis zur Klärung aller Fragen zahlen.

Der Sprecher des Finanzsenators, Brinkschulte, erklärte gestern auf Anfrage, man wolle das Problem „positiv lösen“. Man werde sich „innerhalb einer Woche“ mit allen beteiligten Verwaltungen zusammensetzen. „Wir sind daran interessiert, das Haus zu erwerben, aber das Problem sind die Sanierungskosten“, sagte Brinkschulte. „Unter einem CDU -Senat wurde unsere Existenz gesichert. Wir hoffen, daß der rot-grüne Senat uns nicht vor lauter Wiedervereinigungseuphorie untergehen läßt“, wünscht sich Annette Schill.

Eva Schweitzer

Die Regenbogenfabrik feiert am Samstag ihr 9jähriges, 14.00 Uhr: Kinderfest, ab 20.00 für Große.

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