: RU 486: Abtreibung per Pille?
■ Seit Oktober 1988 können Frauen in Frankreich per Pille abtreiben / Die Folgen sind weitgehend unerforscht
„Der sanfte Abbruch“ jubelte der „Stern“ Ende letzten Jahres, die „Zeit“ sah „eine Chance des Fortschritts“ und die Zeitschrift „Cosmopolitan“ für die Frau ab 2.000 (netto) fragte rhetorisch „Warum wird sie verhütet?“. Gemeint war jeweils die neue Pille des französischen Pharmakonzerns Roussel-Uclaf, die RU 486, die auf hormonellem Wege Schwangerschaften abbricht. Das Medikament, ursprünglich gegen das Wachstum von Krebszellen entwickelt, ist in Frankreich 1988 durch den Gesundheitsminister Claude Evin per Dekret zwangseingeführt worden. Der Hersteller hatte das Präparat vom Markt genommen, weil er umfangreiche Produktboykotte der AbtreibungsgegenerInnen befürchtete. Seitdem brennt eine heftige Diskussion in der Öffentlichkeit. Wie wirkt die Pille, erleichtert sie einen Schwangerschaftsabbruch oder birgt sie Gefahren, welche gesundheitlichen Nebenwirkungen, welche psychologischen Probleme ergeben sich bei der Anwendung? Stand der Diskussion nach Abzug der emotionalen Fehden: Über die Pille ist wenig bekannt.
Idealtypisch funktioniert das so: Das Hormon Progesteron sorgt nach der Befruchtung dafür, das sich das Ei in der Gebärmutter einnistet und die Gebärmutterschleimhaut stabilisiert. Da greift
die Pille ein: Ru 486 blockiert die Schaltstellen, an denen das Progesteron ansetzt: So wird das Wachstum der befruchteten Zelle verhindert, Ei und Gewebe sterben ab. Die Pille bewirkt nicht den Ausstoß des abgestorbenen Gewebes: Deshalb müssen die Frauen zusätzlich Prostaglandine schlucken, krampfauslösende Mittel, die die Kontraktion der Gebärmutter bewirken. Die Wirkung von Prostaglandinen ist äußerst schmerzhaft.
30.000 Frauen hatten in Frankreich bis Ende 1989 auf diesem Wege abgetrieben, 95 Prozent erfolgreich, bei 1.500 Frauen wurde ein zusätzlicher, operativer Eingriff nötig. Doch die Quote allein kann nicht ausschlaggebend sein für den Umgang mit der Pille, für die zur Zeit noch nicht einmal ein Zulassungsantrag beim Bundesgesundheitsamt vorliegt. Ein möglicher bundesdeutscher Vertreiber, die Frankfurter Hoechst AG, befürchtet die gleichen Produktboykotte der AbtreibungsgegnerInnen wie die französische Tochterfirma. Verfahrenstechnisch wäre eine Zulassung kein Problem: Hoechst könnte sich im wesentlichen auf die klinischen Tests der Franzosen berufen.
In Bremen hat sich die Pro Familia des Problems RU 486 angenommen. Dort ist man sicher, daß die Pille auch in der BRD kommt.
Dem Verein „für Sexualberatung und Familienplanung“ liegt eine erste Studie vor, die die Wirkung der Pille bei 2.000 Frauen untersucht. Hanna Staud von der Pro Familia: „Wir haben uns ein wenig gewundert, mit welch hoher Akzeptanz die Pille hier in den Medien begrüßt wurde“. Frau Staud führt das auf mangelnde, humane Alternativen beim Schwangerschaftsabbruch zurück. In Frankreich würde immer noch mit einem Stahllöffel die Gebärmutter ausgekratzt, ein äußerst komplexes, schmerzhaftes Verfahren mit stationärer Behandlung, das auch in bundesdeutschen Krankenhäusern immer noch durchgeführt wird.
„Wenn die Frauen das Verfahren als Alternative haben, ist es kein Wunder, das sich alle auf die Pille stürzen“.
Völlig ungeklärt seien neben den medizinischen Wirkungen des Medikaments (beispielsweise mußten bei zwei von 2.000 Frauen wegen hohen Blutverlustes Blutkonserven verabreicht werden) auch die psychologischen Folgen der Pille. Die Frauen müssen die Tablette unter ärztlicher Kontrolle einnehmen und werden dann erst einmal wieder für zwei Tage nach Hause geschickt. „Bisher weiß keiner, was in dieser Zeit an psychologischem Druck verarbeitet werden muß“ erklärt Hanna Staud.
Auch ohne Zulassungsantrag der Hoechst könnte die Pille in einem Versuchsprojekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf den bundesdeutschen Markt kommen. Für die Pro Familia Bremen, die pro Jahr etwa 3.000 Schwangerschaften abbricht, hat die Auseinandersetzung auch etwas funktionales: Die Pille steht „in Konkurrenz“ mit dem Abtreibungsverfahren, das bei der ProFa durchgeführt wird. Markus Daschne
Pro Familia Bremen führt am kommenden Dienstag um 20.00 Uhr im Bürgerhaus Weserterassen eine Diskussionsveranstaltung zur RU 486 durch. Referentinnen: Hanna Staud und Hildegard Rockel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen