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Menschenzoo Goldenes Dreieck

■ Thailands Norden im Würgegriff des Tourismus

Klemens Ludwig MENSCHENZOO GOLDENES DREIECK

Thailands Norden

im Würgegriff

des Tourismus

Exotische Völker mit traditioneller Lebensweise abseits der Coca-Cola- und McDonalds-Kultur stehen bei Wohlstandsbürgern aus den Industrienationen hoch im Kurs. Wer sich die Spezialreisen zu „Kopfjägern“, „Seezigeunern“, „Höhlenmenschen“ oder „kriegerischen Primitivstämmen“ (Zitate aus Reisekatalogen) ab DM 6.000,- für drei Wochen nicht leisten kann, scheint in Nordthailand gut bedient. Mit etwa drei Millionen Besuchern pro Jahr, die knapp neun Milliarden DM an Devisen bringen (wovon ein großer Teil allerdings gleich in den Händen japanischer oder amerikanischer Hotel- oder sonstiger Ketten bleibt), hat sich Thailand, wie kaum ein anderes Land, vom Tourismus abhängig gemacht.

In den nördlichen Bergregionen, an der Grenze zu Burma und Laos, leben Völker, die von der Welteinheitskultur westlicher Prägung bislang weitgehend verschont geblieben sind. Dies ändert sich derzeit allerdings mit rasender Geschwindigkeit, denn findige Tourismusagenturen wissen, was zivilisationsmüde Weltreisende wünschen: „Visit real primitive Hill Tribes“ („Besuchen Sie wirklich primitive Bergvölker“). So und ähnlich prangt es auf großen Tafeln vor Dutzenden von Reisebüros in der Provinzhauptstadt Chiang Mai. Für Besucher, die fürchten, zu viele Gleichgesinnte könnten die Originalität der „wirklich Primitiven“ beeinträchtigen, sorgen sensible Anbieter: „Trecking in Non -Tourist Areas“ ist der neueste Schlager in der Gegend um das Goldene Dreieck.

Das Angebot erscheint auf den ersten Blick durchaus verlockend. Für zumeist weniger als DM 100,- pro Person bieten die hart konkurrierenden Reisebüros einen drei- bis fünftägigen Aufenthalt in den Dörfern der Bergvölker an. Im Preis sind Unterbringung, Verpflegung und Führer enthalten. Nur das Bier, das vom Dorfoberhaupt in der abendlichen Runde mit unwiderstehlicher Penetranz angeboten wird, müssen die farangs (thailändischer Name für Fremde) selbst zahlen. Neben dem Kontakt mit den „Primitiven“ lockt das erhabene Gefühl, eine bemerkenswerte körperliche Leistung erbracht zu haben, denn manche Dörfer können erst nach einiger Kraxelei erreicht werden. Zudem macht sich bei den Touristen ein prickelndes Gefühl von Abenteuer und Gefahr breit, wenn abends in den Hütten hartnäckig Gerüchte von Räuberbanden die Runde machen, die den Reisenden auflauern. Kulturzerstörung

Das eigentliche Ziel der Reise, die Dörfer der Bergvölker, entpuppt sich für manchen eher als Enttäuschung, denn häufig genug zitiert - der Tourismus zerstört auch im Norden Thailands das, was zu suchen er vorgibt. Noch bis in die siebziger Jahre hinein haben die eine halbe Million Menschen zählenden Bergvölker der Karen, Hmong (Meo), Mien (Yao), Lahu, Akha und Lisu weitgehend unberührt von der thailändischen Gesellschaft gelebt. Die meisten von ihnen waren um die Jahrhundertwende von China und Burma in Siam, dem heutigen Thailand, eingewandert. Brandrodungsfeldbau und Viehzucht bildeten die ökonomische Grundlage; Geldwirtschaft war weitgehend unbekannt. Die Völker lebten in kleinen Einheiten ohne starre Hierarchie. Wenn ein Dorf zu groß geworden war oder der Boden nichts mehr hergab, rodete die Gemeinschaft ein neues Stück Urwald.

Zaghafte Vesuche der Thai-Behörden, die Bergvölker durch Entwicklungsprogramme und die Einführung des Schulwesens stärker in die nationale Gesellschaft einzugliedern, verzeichneten wenig Erfolg. Vielen der damit Beauftragten fehlte der entsprechende missionarische Eifer. „Was gehen uns die Bergvölker an“, war und ist die Devise vieler Thais gegenüber diesen Minderheiten. So bildete die eigenständige Gesellschaft der Bergvölker genau die richtige Kulisse für den Anfang der achtziger Jahre einsetzenden Touristenstrom.

Für alle, die sich nicht von der „exotischen Primitivität“ blenden lassen, sind heute die sozialen Folgen offensichtlich. Der Norden Thailands ist zu einem Menschenzoo degradiert, in dem sich die Gewieftesten der Anschauungsobjekte auf erschreckende Art den Gesetzen der Geldwirtschaft unterworfen haben, während die traditionellen Werte weitgehend zerstört sind.

„Kulturwandel hat es immer gegeben, und wer will es den Bergvölkern verdenken, wenn sie auch am Wohlstand teilhaben möchten“, wendet mancher Tourismusvertreter ein. Diese Sichtweise verkennt jedoch, daß der Wandel nicht freiwillig und selbstbestimmt geschehen ist, sondern Resultat einer touristischen Masseninvasion ist, der die Bergvölker nichts entgegensetzen können.

Wenn heute ein Gruppe farangs ein Dorf betritt, finden sich sofort Frauen und Kinder ein, die aggressiv Kunsthandwerk und Schmuck anbieten. Lehnen die Gäste ab, bekommen sie die Enttäuschung und Wut sehr unverblümt zu spüren. Tänze und andere Kulturveranstaltungen verkommen zu bunten Folkloreshows, ausgerichtet auf den Geschmack der Kunden. Die traditionelle Festtagskleidung wird zumeist nur noch für den Phototermin mit den Touristen angelegt.

Einige Dorfbewohner erwirtschaften durch den Verkauf von Handwerksgegenständen beträchtliche Summen Bargeld, während andere weiterhin auf Substistenzbasis leben. In abgelegenen Akha-Dörfern verfügen manche Frauen über Barschaften von weit mehr als 1.000 Baht (laut Wechselkurs ist ein Baht nur etwa sieben Pfennige wert, doch die Kaufkraft entspricht in diesen Gegenden nahezu einer DM).

Mit diesem Geld gelangen Fernseher und Videogeräte, die mit Generatoren oder Batterie betrieben werden, in die Dörfer. Eine soziale Hierarchie entsteht - die Besitzer von Fernseher und Videos als neue Elite!

Die Veranstalter der Trecking-Touren fördern diese Entwicklung ganz direkt. Sie steuern in allen Dörfern nur bestimmte Familien an - zumeist das Oberhaupt und seinen Clan -, bei denen die Touristen untergebracht werden und ihr Geld lassen. Das Auftreten sozialer Ungleichheiten und Spannungen wird von den Treckingunternehmern geleugnet.

Ganz anderer Meinung ist dagegen Baw Tananone von der „Ecumenical Coalition on Third World Tourism“, eine der wenigen tourismuskritischen Organisationen in Thailand: „Die Entwicklung trifft die Bergvölker gänzlich unvorbereitet. Sie haben zum Beispiel kaum eine wirkliche Vorstellung vom Wert des Geldes, das jetzt in ihre Dörfer fließt. Mit dem Geld lösen sich die sozialen Bande auf. Die Gemeinschaft, in der jeder für den anderen gesorgt hat, verliert an Bedeutung. Jeder versucht für sich, möglichst viel zu verdienen, denn Geld schafft die Vorstellung, sich alle Bedürfnisse und Wünsche erfüllen zu können.“ Ökologische Zerstörung

Eine weitere Attraktion im Goldenen Dreieck ist das Opium. Während die Einheimischen die Droge früher nur in kleinen Mengen oder zu ganz bestimmten rituellen oder medizinischen Anlässen genommen haben, wird sie durch die Nachfrage der Touristen zu einem Massenprodukt. Vor allem viele junge Männer werden bei dem Versuch, die Gewohnheiten der farang anzunehmen, drogensüchtig. Schließlich sehen sie nicht, daß der Konsum von Opium für die Fremden in einer Ausnahmesituation stattfindet. Wenn mit jeder neuen Gruppe die Opiumpfeife kreist, ist die völlige Abhängigkeit nur eine Frage der Zeit. Die daraus resultierende Belastung für eine kleine Dorfgemeinschaft ohne soziales Netz bleibt den Touristen natürlich verborgen.

Ebenso schließen die Urlauber vor der ökologischen Zerstörung die Augen. Im Norden Thailands ist durch großflächigen Kahlschlag in den siebziger Jahren sowie dem traditionellen Brandrodungsfeldbau kaum ursprünglicher Wald vorhanden. Ein kürzlich erlassener Abholzstop kann mit entsprechenden Schmiergeldern leicht umgangen werden. Zwar haben die Touristen mit dem Kahlschlag nichts zu tun, doch setzen sie der Natur auf andere Art zu. Motorrad-Trecking heißt der neue Trend im Goldenen Dreieck. Für kaum mehr als zehn DM pro Tag können Ausländer, die zwar Exotik und Opium lieben, auf die Befriedigung eines anstrengenden Marsches aber gern verzichten, mit einer Geländemaschine die Bergvölker heimsuchen und den Wald endgültig ruinieren. Das Geschäft blüht, und so bieten Reiseagenturen bereits organisiertes Motorrad-Trecking für Gruppen an. Der Urwald lebt! Spekulation und Bauboom

Die Folgen des Massentourismus treffen nicht nur die Bergvölker. Die im Goldenen Dreieck lebenden Thai, denen die „exotische Primitivität“ fehlt, um das Interesse der Reisenden auf sich zu lenken, spüren die Veränderungen vor allem durch die steigenden Preise. Gerade die Preise für Immobilien sind in den letzten Jahren ins Unermeßliche gestiegen. Schließlich kommen die Touristen nicht nur für ein drei- oder viertägiges Hill-Tribes-Trecking in den Norden. Viele wünschen gerade nach einer solchen Tour den gewohnten Urlaubsstandard. So gehen bislang verschlafene Provinzstädte wie Chiang Rai, Chiang Saen oder Mae Hong Son nun den Weg Chiang Mais: Teure Hotelhochhäuser, Ferienwohnungen, Tennis- und Golfplätze schießen aus dem Boden. Mit dem Bau weiterer Straßen soll die Mobilität verbessert werden. Für Spekulanten ist diese Entwicklung ein wahres El Dorado. Sie kaufen frühzeitig Land auf, lassen es ein bis zwei Jahre unberührt liegen und verkaufen es mit 100 und mehr Prozent Gewinn weiter.

Selbst Lokalpolitiker, die für die Entwicklung mitverantwortlich sind, erschrecken heute vor den Konsequenzen. So sah sich der Provinzgouverneur von Chiang Rai, Bannasith Salabsaeng, kürzlich zu einem eher hilflosen Appell veranlaßt: „Ich möchte alle Landkäufer bitten, das Land auch zu nutzen, denn fruchtbare Äcker sollten nicht brachliegen, bis sie später weiterverkauft werden.“

Tourismuskritiker fürchten, daß die durch die Urlauber geweckten materiellen Bedürfnisse nicht zuletzt von den Frauen befriedigt werden, die in Bangkok und anderswo als Prostituierte ihr Geld verdienen müssen. Schon heute sind neugeborene Mädchen im Norden Thailands sehr viel willkommener als Jungen, denn ihr Körper verspricht Devisen. In manchen Fällen verkaufen die Väter ihre heranwachsenden Töchter regelrecht in die Leibeigenschaft von Bordellbesitzern: Nicht die junge Frau erhält den Verdienst, sondern der Vater, der alle paar Monate nach Bangkok kommt und sich als Vorschuß holt, was die Tochter dann erarbeiten muß.

Inzwischen greift der Arm des Tourismus auch auf die burmesische Seite des Goldenen Dreiecks über. Thailändische Geschäftsleute, unterstützt von dem lokalen Parlamentsabgeordneten, haben kürzlich mit den burmesischen Behörden einen Vertrag über die Errichtung eines Kasinos auf einer im Mekong liegenden Insel abgeschlossen. In Thailand selbst sind Glücksspiele verboten, doch die zunehmende Öffnung Burmas bietet Ersatz. Auf der thailändischen Seite am Ufer des Mekong wurde im letzten Jahr ein großes Luxushotel eingeweiht. Das Hotel rief zunächst nur Kopfschütteln hervor, denn die Umgebung bietet wenig Attraktives. Der jetzt unterzeichnete Kasino-Vertrag zeigt indes, wie weit die Tourismusindustrie vorausdenkt.

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