: Kohl: Wählt Kohl!
■ Der Kanzler setzt in der DDR ganz auf seine eigene Popularität / Affäre Schnur scheint Bonner Unionschristen wenig zu kümmern / Es wird dickes Fell gezeigt
Bonn (taz) - Wolfgang Schnur gestand, und alle waren aufgeregt. Fast alle. Tageszeitungen und Rundfunk, Oppositionsparteien und Frankfurter Börse: Sie gerieten in Streß, Ruhe weg hatte allein die CDU. Eine „bittere Erfahrung“ meinte Helmut Kohl zwar zu Wolfgang Schnur, dem er „menschliches Versagen“ vorwarf. „Uneingeschränktes Vertrauen“ versprach der Kanzler der DDR-Schwesterpartei Demokratischer Aufbruch (DA), deren Vorsitzender Wolfgang Schnur gewesen ist, dennoch. Und das war sie dann auch schon fast, die Reaktion der Bonner Christdemokraten auf die Enttarnung Schnurs als Spitzel der Stasi. Er hatte als Anwalt jahrzehntelang die Opposition ausgespäht, na und? Er hatte es wochenlang geleugnet und Ehrenerklärungen der hiesigen CDU-Spitze herausgefordert, was soll's? Auch vier Tage vor den Volkskammerwahlen in der DDR schien die Affäre Schnur Bonner Unionschristen wenig zu kümmern - wissen sie doch, daß nicht das konservative Parteienbündnis „Allianz für Deutschland“ aus DA, DSU und Ost-CDU zur Wahl steht, sondern Helmut Kohl.
130.000 in Erfurt, 200.000 in Karl-Marx-Stadt, 100.000 in Magdeburg, zwischen 200.000 und 300.000 in Leipzig, „Helmut, Helmut„-Rufe und „Wir sind ein Volk“: Die DDR-BürgerInnen waren in den letzten Wochen herbeigeströmt, um Helmut Kohl zu erleben, den Kanzler. Er, nicht Schnur, Ebeling oder de Maiziere, kündigte Wohlstand, Einheit, Freiheit. Daß es Wahlkampfveranstaltungen der Allianz waren, daß auch deren Gallionsfiguren auftraten, daran erinnerten allein die Ankündigungen auf Plakaten und Flugblättern.
Helmut Kohl und seine CDU haben die DDR-Wahlen zu vorgezogenen Bundestagswahlen, zur Generalprobe der ersten gesamtdeutschen Wahlen stilisiert - nicht nur die pompösen Auftritte des Kanzlers im anderen Teil Deutschlands liefern hierfür Hinweise: In den Wahlkampfzeitungen der Allianz taucht diese kaum auf, berichtet wird von Kohl und seiner Partei; die Vorsitzenden der Allianz sollten jüngst während einer Pressekonferenz Bonner Journalisten Rede und Antwort stehen, das Wort hatte Helmut Kohl; nicht seiner Allianz, CDU-Generalsekretär Rühe offenbarte sich vergangenen Montag der Spitzel Wolfgang Schnur; nicht die Allianz, Rühe war es, der den DA-Vorsitzenden per Brief zum Rücktritt auffordern mußte...
Die Bundestagswahlen werden am 2.Dezember hier entschieden, nicht am 18.März in der DDR - diese Richtschnur hatte sich der Kanzlerkandidat der SPD für die letzten Monate geknüpft. Oskar Lafontaine, der passionierte Selbstdarsteller, ist im Wahlkampf drüben kaum aufgefallen. Auch daß Umfragen die Allianz im Aufwind zeigen, hat ihn und seine Partei nicht zur Abkehr von dieser Taktik bewogen - wird doch eine stärkere Regierungsbeteiligung der Konservativen auch deren Verantwortung für die weitere Entwicklung vergrößern.
Die Bundestagswahlen werden am 18. März in der DDR entschieden und nicht erst am 2.Dezember in der Bundesrepublik - an diese Leitlinie aus dem Konrad-Adenauer -Haus haben sich die CDU und Helmut Kohl im Gegensatz zu Lafontaine fast bis zuletzt richtiggehend geklammert.
Wählt ihr die Allianz, so wählt ihr mich, entscheidet ihr euch für andere Parteien, so bekundet ihr Mißtrauen gegen Helmut Kohl und seine Versprechungen: Der Bundeskanzler hat alles auf die Karte Kohl gesetzt, hat sein politisches Renommee mit dieser Wahl verbunden - und ist damit ein hohes Risiko eingegangen.
Ungefähr 44 Prozent für die SPD, etwa 26 Prozent für die konservative Allianz, kündigte eine der zahlreichen Umfragen in der letzten Zeit an. Auch wenn Generalsekretär Volker Rühe von mindestens 30 Prozent ausgehen soll: „Schon 25 wären doch in Ordnung“, ist etwa von einem Kanzlerberater zu hören. Allerdings: Rutscht die Allianz noch unter diese Marge, gar unter 20 Prozent, dann ist auch Helmut Kohl in Gefahr - denn an seine Person hat er die Wahl geknüpft.
Ist es eine - späte - Einsicht in die Gefährlichkeit dieser Strategie? Sind es die Warnungen auch aus dem westlichen Ausland, das die Einverleibung samt aufschäumendem Nationalismus nun doch etwas zu plump findet? Könnte es das aufkommende Murren der DDRWählerInnen sein, denen Bonn gerade in den letzten Wochen ungeniert demonstriert hat, welch hohen ideellen und materiellen Preis die Widervereinigung haben wird? Oder ist es, ganz schnöde, die Erkenntnis, daß der Anschluß viel Geld und damit vielleicht die Macht kostet? Was auch immer sie dazu bewogen hat: Helmut Kohl und seine Union haben, kurz vor der DDR-Wahl, das Tempo des Zuges zur Wiedervereinigung gedrosselt. Die Einheit kommt keinesfalls vor 1991, läßt der Kanzler verbreiten. Und auch für den schnellen Anschluß nach Artikel 23 Grundgesetz setzt man sich in der CDU so richtig kämpferisch nicht mehr ein: „Na ja, wenn die drüben sich für den Artikel 23 entschließen, müssen wir damit einverstanden sein.“
Ferdos Ferudastan
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