: Länder gegen Übersiedlerstrom
Bonn (dpa) - Die Bundesländer verlangen von der Bundesregierung schnelles Handeln gegen den anhaltenden Strom von Übersiedlern aus der DDR. Über die Parteigrenzen hinweg forderten SPD- und unionsgeführte Länder gestern im Bundesrat übereinstimmend die Bundesregierung auf, das Notaufnahmeverfahren und Sonderleistungen für die Übersiedler rasch abzuschaffen. Weitere wichtige Themen waren der Nachtragshaushalt des Bundes für 1990 und die Rechte der Bundesländer auf dem Wege zur Einigung Europas. Mit der Forderung nach Abschaffung der Notaufnahmeverfahren und besonderen Eingliederungsleistungen stellten sich auch die unionsgeführten Länder gegen die Bundesregierung, die beides vorerst weiterführen will. Darüber hinausgehende Forderungen des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine (SPD) zur Behandlung von Aussiedlern aus Ost- und Südosteuropa übernahmen sie jedoch nicht. Hier wollen sie weiterhin großzügigere Aufnahmeregelungen beibehalten.
Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) und der bayerische Staatsminister Gebhard Glück (CSU) mahnten die Bundesregierung, die Abschaffung der Notaufnahme nicht zu verzögern. Albrecht hielt seinem Parteifreund, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, vor, die Bundesregierung schätze „den Zustand draußen“ möglicherweise „nicht ganz richtig ein“. Schäuble versicherte, in der Beurteilung der Dringlichkeit gebe es keine Unterschiede. Er blieb jedoch bei seiner Auffassung, das Notaufnahmeverfahren könne erst bei Rückgang des Übersiedlerstroms abgeschafft werden. Schäuble äußerte erneut die Hoffnung, daß die DDR -Bürger nach der Wahl am Sonntag bessere Aussichten sehen würden, in ihrer Heimat zu bleiben.
Mehrere Ländervertreter zeichneten ein dramatisches Bild der Lage mit teilweise unerträglich überfüllten Notquartieren. Lafontaine sagte, die Situation dulde kein weiteres Zuwarten. Er forderte auch die Abschaffung des Fremdrentenrechts. Das bei Streichung von Notaufnahme, Lagern und Eingliederungsleistungen gesparte Geld solle in der DDR eingesetzt werden. Die Länder stimmten anschließend der Finanzhilfe des Bundes für Übergangswohnheime in Höhe von 500 Millionen Mark zu. Ohne Einwände ließ der Bundesrat auch den Gesetzentwurf der Bundesregierung passieren, nach dem unter anderem ehemalige Stasi-Agenten vom Rentenbezug nach dem Fremdrentenrecht ausgeschlossen werden sollen.
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