piwik no script img

Empfängnishilfe

Verhuschte Neohippies: The Perc Meets The Hidden Gentleman  ■  B E R L I N E R P L A T T E N T I P

Zwei Männer stehen im Kornfeld, der eine reckt ein Tambourin in Siegerpose gen Himmel, der andere umklammert eine akustische Gitarre; beider Unterleiber versinken im silbrig -golden eingefärbten Acker. Im Vordergrund, die Augen in Richtung eines unbekannten, aber offenbar verheißungsvollen Flugobjektes gerichtet, breitet ein strohbehelmtes Mädchen seine Arme aus. Zur Beförderung der Heroenromantik trägt sie links ein Bündel Trockenblumen, rechts krampfen sich die zum „V“ gespreizten Finger um eine weiße Stoffbahn, die ihren jungen Körper notdürftig umhüllt. Über ihrem schwarzen Gürtel (Judo?) prangt die Inschrift: „This Maid Of Delphi“. Mit bürgerlichem Nahem heißt sie Birgit und ist „Cover Girl“ der in Berlin und Bremen beheimateten Band „The Perc Meets the Hidden Gentleman“.

Was diese drei Personen in einem Kornfeld zu suchen haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Irgendjemand hat sie bei ihrer Händereckerei jedenfalls beobachtet, fotografiert (Jim Rakete scheidet ausnahmsweise als Urheber aus, obwohl er sich unlängst durch zwei „mega„peinliche „W.“ Droste-Fotos auszeichnen konnte, aufgenommen ebenfalls auf heimischer Scholle; statt mit Blumen war der Porträtierte allerdings mit Schreibmaschine „bewaffnet“) und ihnen das Bild als Cover ihrer neuen LP verkauft (Strange Ways Records/EFA).

Die Herren „Perc“ Tom Redecker und Emilio „The hidden gentleman“ Winschetti lernten sich der Legende nach in der österreichischen Skibar „Zum goldenen Ochsen“ kennen. Was sie auf der Platte auch gleich noch als Minihörspiel inszenieren. Der ganze Wind, den das Duo um sich herbeiwedelt - im Innencover wird man aufgefordert, für wahlweise zwanzig US-Dollar oder DM der „Hidden Communitiy“ beizutreten, Fotos und Geld sind zu schicken an das „Hidden Bureau“ - zeugt entweder von maßloser Selbstüberschätzung oder einem verdorbenem Humor, letzteres bleibt zu hoffen.

Hört man dann ihren merkwürdig verschrobenen Countrykram „Living in a Small Town“ - oder den Amsterdamer Geographen -Psychorock ihres „Melkweg-Babies“, das durch Red Cornfields ins benachbarte „Paradiso“ rübergemacht hat, paßt plötzlich alles zusammen.

„I need you“, haucht die rauchgeschwängerte Stimme Winschettis zu seiner Freundin. Alles löst sich auf in einer grandiosen Kitschorgie, die das Ehrlichste ist, was uns diese Männer zu bieten haben. Ihre Geige begleitet sie verträumt durch das rauhe Landleben - „There's a Fire in the Montains“ - und ihre vornehmste Aufgabe ist es, dieses Feuer zu schüren, damit sie den glasigen Blick durch die Flammen auf uns richten können.

Und eine Schweineorgel singt dazu „Fly all over the Land“. Wenn wir uns mit dieser Band in der Prärie verirren, ihr folgen bis zur letzten Tankstelle vor der Wüste - „I thought of you, my love“ - dann sind wir längst völlig verloren. Untergegangen in der knöcheltiefen Sentimentalität eines Perc und eines verchromten Gentlemans.

Auf unserem Ausritt vergessen wir endlich all die anderen deutschen Musiker, die etwas sein wollen, was sie nicht sind. Dieses Duo kann nur so gnadenlos verträumte Musik fabrizieren, weil es sich so gehört, wie sonst niemand sein darf. Da können andere nur die Harmonie stören. Wenn Redecker&Winschetto dennoch Gastmusiker wie den Trompeter und Sänger Sven Regner von Element of crime beschäftigen, werden diese vorher so tief in Alkohol getaucht, daß sie nur noch eine herrlich betrunkene Trompete spielen können. Oder die Band engagiert gleich die Kastrierte Philosophin Katrin Achinger für eine Kühlfachversion des ordentlich abgehangenen „Heya Heya Heyaheyaheyaeh“.

Covergirl Birgit, Emilio und Tom, der „Labelboss“, ihr Leibwächter und all die anderen Neohippies, haben sich in dieser Platte einen hübschen Mikrokosmos zusammengebastelt, den sie so schnell lieber nicht verlassen sollten - es wäre schmerzhafter, als darin zu verweilen.

A. Becker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen