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„Die Revolution hat ihre Kinder entlassen“

Ost-Berlin (ap) - Verbitterung herrscht bei den Verlierern. „Die Revolution hat ihre Kinder entlassen“, sagt Stephan Bickhardt, Sprecher der Gruppierung Demokratie Jetzt, frustriert im Ostberliner „Haus der Demokratie“ in der Friedrichstraße.

Auch bunte Papierschlangen und heiße Disco-Musik im Wilhelm -Pieck-Saal können die Stimmung bei den Anhängern des linken „Bündnisses 90“ nicht heben. Buh-Rufe schallen durch den Raum, als die ersten Hochrechnungen den klaren CDU-Wahlsieg ankündigen. Der Spitzenkandidat des Neuen Forums, Jens Reich, meint trotzig: „Wer die erste Wahl verliert, gewinnt die zweite.“ In Richtung CDU sagt der Molekularbiologe dann: „Wer bei Honecker Blockflöte gelernt hat, kann in keiner Demokratie die erste Geige spielen.“ Die CDU galt 40 Jahre lang als Mitläuferpartei im SED-Staat.

Jemand klebt noch schnell eine Karikatur an die Wand, die Kanzler Kohl dabei zeigt, wie er mit einem prallgefüllten D -Mark-Sack einen DDR-Bürger erdrückt. „Die Wähler haben sich für das Geld entschieden und nicht für die, die freie Wahl in der DDR erkämpft haben“, sagt der Sprecher der Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM), Werner Fischer. Im Wahlkampf hatte sich das „Bündnis 90“ immer wieder für die Bewahrung einer eigenständigen DDR-Identität ausgesprochen.

„Jetzt ist Kohl unser Chef“, murmelt die sichtlich angeschlagene IFM-Spitzenkandidaten Marianne Birthler. Mit einer eigenständigen Entwicklung in der DDR sei es vorbei. Wehmütig heißt es auf einem Plakat: „Mit uns fing es an.“ Überall sprechen sich die meist jungen Menschen Mut zu.

„Kinder, ohne uns läuft nichts“, steht ganz groß auf einem Transparent. Reich versucht die Resignierten mitzureißen und kündigt kämpferisch an: „Unsere rund zwei Dutzend Abgeordneten werden in die Volkskammer eine Glocke mitnehmen und ganz laut werden, wenn wir nur noch von Bonn regiert werden.“

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