: Ein Totgesagter mit erstaunlicher Vitalität
■ VfL Gummersbach im Europapokal 25:17 gegen Zürich
Gummersbach (taz) - Alljährlich, wenn die Handball -Bundesliga in den Startlöchern steht, wird dem VfL Gummersbach der Absturz ins Mittelmaß vorhergesagt. Als Erhard Wunderlich vor Jahren für 2,5 Millionen Mark aus dem Oberbergischen nach Barcelona wechselte, als die Karriere von Joachim Deckarm durch einen Unfall jäh beendet wurde, und als der heutige Trainer Heiner Brand die Schuhe an den Nagel hängte, immer hieß es: Der VfL Gummersbach ist am Ende.
Doch immer wieder hat sich der elffache deutsche Meister und zehnfache Europapokalsieger aufgerappelt. Je größer die sportliche Not war, umso verschworener wurde die Gemeinschaft. Der Zusammenhalt im Verein und das seit Jahren störungsfrei funktionierende Umfeld, für das der mittlerweile 74jährige Eugen Haas maßgeblich verantwortlich zeichnet, sind die Garanten für das Überleben des zwischenzeitlich arg kränkelden Handballpatienten.
Besonders hat traf es den VfL vor Beginn der laufenden Saison, als gleich drei der leistungsstärksten Spieler den Klub verließen: Kapitän Thomas Krokowski ging aus beruflichen Gründen zum Zweitligisten Bayer Dormagen, Rüdiger Neitzel zog der finanzstarke TSV Milbertshofen an und Chistian Fitzek, Kapitän der Nationalmannschaft, wechselte aus rein sportlichen Gründen zur SG Wallau -Massenheim.
Nicht nur Christian Fitzek, der in einer Spitzenmannschaft spielen wollte, hat die Situation damals falsch eingeschätzt. Auch Abteilungsleiter Uli Strombach gab sich vor der Saison äußerst zurückhaltend, als er Platz fünf als Saisonziel der Vorrunde anpeilte. Daß der VfL zu diesem Zeitpunkt dann in der Bundesliga den zweiten Platz belegte ist darauf zurückzuführen, daß Heiner Brand als Trainer bei der Verpflichtung der neuen Spieler einen ausgesprochen guten Riecher hatte.
Unter seiner Regie sind die Neuen Uli Derad (FA Göppingen) und Klaus-Dieter Petersen (GWD Minden) A-Nationalspieler geworden. Der größte Fang gelang Brand mit der Verpflichtung des norwegischen Nationalspielers Rund Erland, der auf der Position von Rüdiger Neitzel seinen Vorgänger längst vergessen ließ.
Nach dem Weggang der Rückraumstars Krokowski und Neitzel ist auch Andreas Dörhofer in Gummersbach endlich aufgetaut. In der abgeschlossenen Bundesligavorrunde war der 27jährige Linkshänder mit 178 Toren erfolgreichster Schütze der Liga. Daß es bei Dörhöfer, dem lange Zeit ein schwaches Nervenkostüm nachgesagt wurde, so gut läuft, ist ein Verdienst des taktischen Konzepts von Trainer Heiner Brand. Der 131fache Internationale auf der Gummersbacher Bank hält seinen treffsichersten Stürmer von defensiven Aufgaben frei. Auf seiner Position verteidigt Routinier Frank Damann, der seit 1978 das Trikot des VfL trägt.
Fast ebenso lang steht Andreas Thiel im Tor des VfL. Der Nationaltorwart mit 145 Einsätzen saß im vergangenen Sommer bereits auf gepackten Koffern und wollte dem Ruf von Petre Ivanescu zum Aufsteiger Niederwürzbach folgen. Ein intensives Gespräch mit seinem väterlichen Freund Eugen Haas bewegte den „Hexer“ zum Rückzieher: „Ich denke und fühle blau-weiß, deshalb konnte ich den VfL nach so vielen Jahren nicht im Stich lassen.“
Thiel ist nicht nur unbestritten der beste Torhüter der Bundesrepublik; er ist auch als Integrationsfigur für das stark verjüngte Team von enormer Bedeutung gewesen.
Was der 30 Jahre alte Rechtsreferendar auch heute noch für seinen Verein wert ist, bewies er am Samstag im Viertelfinale des Europapokals der Pokalsieger gegen Grasshoppers Zürich. Über zwanzig bester Chancen der Gäste machte Thiel mit tollen Reflexen zunichte und hatte damit einen großen Anteil am deutliche Erfolg von 25:17. Vor allem in der kritischen Phase zehn Minuten vor Ende der Begegnung, als die Rückraumspieler Dörhöfer, Erland und Schröder serienweise Fehlpässe fabrizierten und die Gäste auf 18:15 verkürzten, baute sich das Team an der famosen Leistung des Schlußmanns wieder auf.
In der Schlußphase sorgten Dörhöfer (insgesamt elf Tore) und Zlattinger (7 Tore) für ein beruhigendes Polster für das Rückspiel. Nach Spielschluß gab es in der Sporthalle an der Moltkestraße standing ovations der 1.200 Zuschauer für eine grandiose Leistung das erstaunlich vitalen VfL Gummersbach.
Totgesagte scheinen tatsächlich länger zu leben.
Peter Mohr
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