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Im Westen: Gregor Gysi Superstar

■ PDS-Chef nahm Bad in der Westberliner Linken - und läutete den BRD-Wahlkampf ein

Berlin (taz) - Im Audimax der Westberliner TU konnte am Samstag abend kaum noch eine Stecknadel zu Boden fallen. Dichtgedrängt wie seit Jahren nicht mehr standen Alt-Linke, Autonome, versprengte Anhänger der SEW, ALer und undogmatische Linke selbst in den Gängen, um zu sehen, wie sich der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi den Fragen einer JournalistInnen-Runde aus taz, konkret und Zitty (Berliner Stadtmagazin) stellte. Gregor Gysi hatte Heimspiel „standing ovations“ für ihn schon zu Beginn, spontaner Szenenapplaus, wenn er zwar inhaltlich wenig konkret, dafür aber rhetorisch um so brillanter seine Vision vom „sozialistischen Sozialismus“ darlegte. Tosender Beifall, Schauspielhausatmosphäre zum Schluß.

Beim Stichwort Marktwirtschaft und der auch nach Gysis Meinung unaufhaltsamen Wiedervereinigung witterten zwar etliche im rund 2.000köpfigen Publikum „Verrat“. Aber Gysi Superstar konterte geschickt: man könne sich jetzt nicht jammernd in die Ecke stellen und die Dinge, die einem nicht paßten, einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Die deutsche Linke müsse sich in diesen Prozeß einmischen und ihn gestalten, wetterte der PDS-Vorsitzende sichtlich erstaunt und leicht genervt von den Argumenten seiner Kritiker. Was Gysi als Konzept für eine Zukunft der DDR vorschlug, war zwar eher vage. Aber die Art, wie er es sagte, die Schlagfertigkeit und die Selbstironie, machten ihn an diesem Abend zu einem Multi-Akteur in Sachen Politik und Unterhaltung gleichermaßen: ein neuer politischer Star mit erheblichen Bühnenqualitäten. Nach Gysis Willen wird sich die DDR-Partei PDS künftig auch in die bundesrepublikanische Politik einmischen. Mit seinem Schlußwort läutete der Anwalt bereits den BRD-Wahlkampf ein: „Die werden schon sehen, was sie von der Einheit haben - unter anderem die PDS in der Bundesrepublik!“ Zuvor hatte Gysi kokett darauf hingewiesen, daß bisher nur West-Parteien in den Osten wirkten. Es gehe auch umgekehrt. Denn: „Auch ich finde einiges in der BRD veränderungsbedürftig.“

Ve.

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