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Geheimpapier: DDR kurz vor der Zahlungsunfähigkeit

Fünf Wirtschaftsexperten der Honecker-DDR haben im September 1989 eine „Geheime Kommandosache“ verfaßt und am 28. jenes Monats mit ihrer Unterschrift versehen - zehn Tage vor der Jubelfeier zum 40. Jahrestag der Republik. Inhalt des brisanten Papiers: Die Auslandsverschuldung der DDR und deren zukünftige Finanzierung. Ergebnis der Autoren: Die DDR ist „bereits jetzt weitgehend von kapitalistischen Kreditgebern abhängig“. Um weiter Schulden machen zu können, sei „ein wesentlich höheres Aufkommen an absatzfähiger Exportware“ erforderlich. Die notwendigen „Umverteilungsprozesse“ müßten „noch 1989/90 in Angriff genommen werden“. Als Sofortmaßnahme schlugen die fünf Experten ein Verarmungskonzept vor: die „Reduzierung der gesellschaftlichen Konsumtion und - falls das nicht ausreicht - auch der individuellen Konsumtion“.

Kein Wunder, daß das Wirtschaftsgutachten „geheime Kommandosache“ war. Verfaßt wurde es „entsprechend dem erteilten Auftrag“ von den bedeutendsten DDR -Wirtschaftsexperten. Der Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski hat es unterzeichnet, ebenso Außenhandelsminister Gerhard Beil, der Chef der Plankommission, Gerhard Schürer, und die Finanzfachleute Herta König und Werner Polze. 1989 mußte die DDR allein für Zinsen und Tilgungen 5,6 Milliarden Valutamark (VM) bezahlen - bei West-Exporten von 12,2 Milliarden VM. Damit leistet die DDR ihren Schuldendienst mit gut der Hälfte ihrer Ausfuhren in das kapitalistische Ausland - ein Wert, den sonst nur lateinamerikanische Staaten erreichen. Die kapitalistischen Banken, so das Papier weiter, würden derzeit nur noch Kredite geben, weil die DDR zweifelhafte „Guthaben“ vorweise.

Zu deren Charakter heißt es in dem Geheimpapier nebulös: „Bei Wahrung der Geheimhaltung über den tatsächlichen Charakter dieser 'Guthaben‘ tragen sie ganz wesentlich zum Ansehen der DDR als solider und zuverlässiger Kreditnehmer bei.“ Offenbar waren die „Guthaben“ fingiert oder zumindest unsolide. Schon im Januar 1990 hatten sich westliche Bankkreise gewundert, daß die DDR ihre Schulden nicht zumindest mit diesen Guthaben mindert. Finanzministerin Christa Luft wollte vor dem Runden Tisch dazu keine Auskunft geben. Ein Teil davon, so wurde damals spekuliert, seien Zahlungsverpflichtungen von Dritte-Welt-Ländern, die ihrerseits nicht zahlungsfähig seien. Die DDR hat ihre Schulden auf 400 Banken verteilt.

Die Zahlungsunfähigkeit sei nur zu vermeiden, schreiben die Wirtschaftsexperten weiter, wenn sich die Exportsumme ins kapitalistische Ausland bis 1995 verdoppelt. Die „politische Stabilität der DDR“ hänge davon ab, die „Zahlungsfähigkeit der Republik“ müsse „bedingungslos“ gesichert werden - im Klartext: Konsum und Import müssen eingeschränkt werden. Die Maßnahmen stehen nicht mehr zur Diskussion, es herrscht Notstand. Jährlich müßten, so die Autoren, acht bis zehn Milliarden Valuta-Mark zusätzlicher Kredite mobilisiert werden. Die Banken seien aber nicht bereit, „ihre Limite für die DDR“ zu erhöhen. Zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit müsse das Exportvolumen zu Ungunsten des Inlandsverbrauchs in den kommenden fünf Jahren von 12 auf 24 Milliarden VM gesteigert werden. Dafür könne nicht einfach ein unspezifizierter Teil der inländischen Produktion für die zusätzliche Ausfuhr in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet vorgesehen werden - heißt: Das Verramschen von Produkten, auf die „made in GDR“ aufgestempelt wird, reicht nicht aus, um das Finanzierungsloch zu stopfen.

„Hohe Parteilichkeit und Disziplin“ sei von den Ministern bei den Beratungen verlangt worden. Weitere Verhandlungen mit ihnen würden nichts mehr nützen, bevor nicht die entsprechenden Grundsatzentscheidungen gefällt worden seien

-weil, so schließt die geheime Kommandosache, „zur Sicherung der notwendigen Einlaufkurve 1991 diese Umverteilungsprozesse noch 1989/90 in Angriff genommen werden müssen.“

Holger Eckermann

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