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Im Süden leuchtet der Westen

■ Gespräch mit der Ostberliner SPD-Vorsitzenden Anne-Kathrin Pauk zum guten Abschneiden ihrer Partei in der Hauptstadt

taz: Wieso wird die SPD in Ost-Berlin stärkste Partei, wenn man sie andernorts fast mit der Lupe suchen muß?

Anne-Kathrin Pauk: Also mit der Lupe ja nun gerade nicht. Aber es war in Berlin relativ leicht, Wahlkampf zu machen, man kann Strukturen schneller aufbauen als in dörflichen Gegenden. In Weißensee hatten wir zum Beispiel ausgesprochen viele Veranstaltungen, da haben wir auch am besten abgeschnitten. (38,7 Prozent, d.Red.)

Im Süden hat die SPD doch auch Wahlkampf gemacht. Warum wählen hier 66 Prozent gegen den Trend? Sind die Berliner anders drauf als der Rest der DDR?

Sowieso. Die Leute aus Leipzig, aus dem Süden, haben die Schnauze voller als hier. Da ist der Frust wahnsinnig groß. Du siehst diese total zerstörte Stadt Leipzig, die Kinder werden nur im Urlaub gesund, ansonsten sind die dauernd krank. Die wollen das nicht mehr.

Offensichtlich haben die WählerInnen aus dem Süden der SPD nicht zugetraut, die Kohle von Kohl ranzuschaffen, um das zu ändern. In Berlin traut man der SPD offenbar mehr zu. Sind die Probleme hier nicht so groß oder die Leute weitsichtiger?

Erstmal sind die Probleme nicht so groß. In Berlin ist immer reingebuttert worden. Die Infrastruktur ist einfach besser. In Leipzig kannste wirklich 'ne Meise kriegen, Du kommst da in keine Kneipe rein. Dann fährt man stundenlang durch eine total verdreckte Stadt, ständig Straßenbahnstau; das können die Leute nicht mehr sehen. Der Westen ist da für viele ein Traumbild. Hier bei uns in Berlin sind die Probleme des Westens dagegen greifbarer. Je weiter der Westen weg ist, desto schöner wird er für die Leute.

Die zweite Überraschung in Berlin war das hohe Abschneiden der PDS. Die haben fast soviel Stimmen bekommen wie die SPD. Wie kommt's?

Honeckers Fürstenhof lag in Berlin. Das war sein Machtzentrum hier. Und das hat er gut bewachen lassen. Das Imperium ist zusammengebrochen, und das desillusioniert diese Leute natürlich. Die meisten Mitglieder der PDS wohnen in Berlin. Dann muß man sich mal überlegen, wieviele hauptamtliche Parteimitarbeiter die hatten, wieviele Leute in den Verwaltungen mit denen zu tun hatten. Die haben alle Angst um ihre Jobs und wählen PDS. Seit Wochen werden jeden Tag allein in Berlin zwischen 500 und 800 Stasi-Leute entlassen. Da wundere ich mich, daß die PDS nicht noch mehr bekommen hat.

Kannst Du Dir nach den Kommunalwahlen in Berlin am 6. Mai eine Zusammenarbeit mit der PDS vorstellen? Die bleibt ja ein politischer Faktor in Berlin.

Nein.

Auch nicht in Sachfragen?

Nein. Ich hab keine Lust mit Leuten zusammenzuarbeiten, die sich seit kurzem ein neues Aushängeschild gegeben haben. Der Gysi soll sich mal seine Mitglieder angucken, die uns auf'm Alex hysterisch anschreien. Die bringen doch immer noch die alten Sprüche. Die haben nicht die Fähigkeit, den Zwang recht haben zu müssen, zu überwinden. Das disqualifiziert sie als Partner in der politischen Zusammenarbeit. Außerdem muß man mal sagen: Es gibt immer noch viele in der PDS, die im Kleinen oder im Großen Dreck am Stecken haben. Unter anderem geht auch dieses Wahlergebnis auf ihr Konto. Zum einen wegen der Vergangenheit, zum anderen wegen ihres Spiels mit der Angst. Die Behauptung, daß jetzt alle sozialen Leistungen abgebaut werden sollen, hat die Leute doch auch in Richtung CDU getrieben. Die haben gedacht: Ogottogott, wenn wir die nicht wählen, gibt's kein Geld, und dann wird alles noch viel schlimmer. Und wenn ich dann höre, daß sich Teile der West-Grünen und der Alternativen Liste für eine Fusion mit denen interessieren, würde ich denen nur wünschen, daß die erlebt hätten, was in diesem Land los war.

Wie und mit wem soll denn bis zum 6. Mai in Ost-Berlin Politik gemacht werden? Die Akzeptanz des Runden Tisches, der nicht demokratisch legitimiert ist, wird doch ab heute rapide sinken.

Der Magistrat hat keine demokratische Legitimation, der Runde Tisch auch nicht. Aber diese Konstellation muß solange akzeptiert werden, vor allem vom Magistrat, wie es keine andere Lösung gibt.

Was heißt andere Lösung?

Das erste Stück Demokratie durch die gestrigen Wahlen zur Volkskammer hat momentan absolute Geltung, weil es das einzige ist. Meiner Ansicht nach sind die in Berlin gewählten Vertreter der Volkskammer die einzigen, die hier jetzt demokratisch legitimiert sind. Eine Möglichkeit wäre die Bildung eines Ausschusses von 20 Leuten aus der Volkskammer und 20 Parlamentariern aus dem Abgeordnetenhaus. Diese Leute dürfen keine Administrativfunktionen haben. Sie sollen aber, gerade was Verfassungsfragen betrifft, die Zeit nach dem 6. Mai vorbereiten. Denn es steht ja die Frage an, welche Verfassung sich Ost-Berlin im Zuge der Länderreform gibt. In den nächsten Tagen werden wir mit einem konkreten Vorschlag an die Öffentlichkeit treten, wer und wie Ost -Berlin bis zum 6. Mai regiert werden soll.

Interview: C.C. Malzahn

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