: Berliner Kitastreik
Seit einem Jahr haben wir in Berlin einen Senat, der Politik für Frauen auf seine Fahnen geschrieben hat. Was nun hat der Streik der Berliner ErzieherInnen mit Frauenpolitik zu tun? Nichts, wenn man die halbherzigen Unterstützungsaktionen der Frauengruppen und die Gleichgültigkeit der Frauensenatorin und der Frauenbeauftragten als Maßstab nimmt. Sehr viel, wenn man die Angelegenheit (frauenpolitisch) mal etwas differenzierter betrachtet.
Frauen und Kinder sind im wesentlichen die Leidtragenden der desolaten Situation in den Westberliner Kitas:
-Kinder, weil ihren berechtigten Bedürfnissen aufgrund von Personalmangel und -überlastung in den Kitas nicht nachgekommen werden kann,
-Frauen als Erzieherinnen, weil sie als Repräsentantinnen eines typischen Frauenberufs tagtäglich die Nachteile spüren (schlechte Bezahlung, keine Aufstiegschancen, miese Arbeitsbedingungen),
-Frauen mit Kindern, ob alleinerziehend oder mit Partner, weil sie beim Drahtseilakt Beruf/Familie/Haushalt abzukippen drohen, sind sie es doch, die am ehesten unter den schlechten Entwicklungsbedingungen ihrer Kinder in den Kitas leiden und deswegen zu Kompromissen im beruflichen und privaten Bereich gezungen werden.
Die Qualität der Kitas bezüglich ihrer personellen Ausstattung ist deswegen nicht nur für Kinder von entwicklungspsychologischer, sondern auch und gerade von frauenpolitischer Bedeutung. Frauen sind in unserer Gesellschaft immer noch für die Beziehungsarbeit in der Familie verantwortlich. Diese Tatsache ist kein Webfehler im weiblichen Genaufbau oder Ausdruck weiblichen Verantwortungswahns, sondern Resultat einer männerorientierten Gesellschaft.
Trotz steigender Erwerbstätigkeit von Frauen, ihrer zunehmenden Repräsentanz in Politik und Gewerkschaft hat sich an ihrer Haupt-beruf-ung als Beziehungsarbeiterin der Familie wenig geändert, sind doch die Männer nur zögernd bereit, hier ihren Anteil zu übernehmen. Somit sieht sich die Frau für die Entwicklung der Kinder in dem Maße als verantwortlich an, wie ihr diese Rolle von der Gesellschaft zugeschrieben wird und sie diese Zuweisung verinnerlicht hat.
Die heutigen arbeitsmarktpolitischen Bedingungen für Frauen mit Kindern bieten keinen Ausweg aus dem Dilemma. Sie sind in der Regel dergestalt, daß der Anspruch auf Selbstentfaltung im Beruf für die meisten Frauen immer noch im scharfen Widerspruch zum Leben mit Kindern steht. Frauen als Mütter müssen sich deshalb mit unterqualifizierter Erwerbsarbeit oft in Form von Teilzeitarbeit begnügen. Diese Formen „mütterlicher“ Erwerbsarbeit reichen - wenn überhaupt - nur zur minimalen Existenz- und Alterssicherung aus und lassen wohl kaum so etwas wie berufliche Identität und Selbstwertgefühl entstehen. Indem (erwerbstätige) Mütter die ihnen von der Gesellschaft zugeschriebene Verantwortung für die Kinder übernehmen, können sie diesen Mangel scheinbar ausgleichen. Somit schließt sich ein Teufelskreis, der nur durch folgende frauenpolitische Forderungen durchbrochen werden kann:
Die Bedingungen, unter denen Frauen mit Kindern einer qualifizierten und existenzsichernden, von Männern unabhängigen Erwerbsarbeit nachgehen können, sind nicht nur in Frauenförderplänen und Quotierungen zu sehen, sondern auch
-in der generellen Reduzierung der Wochenarbeitszeit für alle ArbeitnehmerInnen,
-in einem ausreichenden Angebot an dezentralisierten Kitaplätzen mit qualifiziertem und motiviertem Personal.
Um letzteres zu erreichen, sind die Forderungen der Berliner ErzieherInnen unabdingbar. Nur die Sicherheit, daß die Kinder vom Aufenthalt in der Kita profitieren, macht Mütter frei für qualifizierte Erwerbsarbeit und ermutigt sie zur notwendigen innerfamiliären Forderung nach Beteiligung des Mannes an der Be- und Erziehungsarbeit.
Indem der Staat Mütter von ihrer Verantwortung für die Kinder zeitweise entlastet, kann er ihnen den Weg zur beruflichen und damit auch persönlichen Identität bahnen. Diese neugewonnene Stärke der Frauen wird sie ermutigen, überholte Rollen und innerfamiliäre Strukturen infrage zu stellen. Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, daß um diesen Zusammenhang auch eine Frauensenatorin weiß und sie dementsprechend handelt und Stellung bezieht.
Denn wie weit wir von einem beruflichen Selbstbewußtsein erwerbstätiger Mütter entfernt sind, zeigt der derzeitige ErzieherInnenstreikt: Frauen begreifen ihre Kinder im beruflichen Kontext als Mangel, den sie infolgedessen auch privat verwalten müssen. Statt den Senat massiv zum Handeln im Sinne der Streikforderungen zu zwingen, nehmen sie ihren Jahresurlaub, lassen sich krankschreiben und lösen sich in der Betreuung der Kinder untereinander ab. Der Senat wird sich langsam fragen, warum es überhaupt Kitas gibt, wo es doch auch ohne scheinbar ganz hervorragend geht?
Antje Willms-Faß (teilzeiterwerbstätige Mutter von zwei kleinen Kindern), Berlin
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