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Unsere Dresdner Gäste

■ Eine Stadt verliert ihr Gesicht / Aus dem Dresdner Stollen

Dresden gibt es nicht mehr. In der Innenstadt zeigten SAT 1 und der BR Flagge und Schirm, schon Tage zuvor war viel des alten Aufmarschplatzes zugeparkt mit Lastwagen und den dazugehörigen Porsche, einen kleinen Auflauf um sich bildend. Heino und Trachtenmädels wurden eingeflogen, Hacker Pschorr und andere süddeutsche Köstlichkeiten unters Volk gebracht, und die Moderatoren am Mikrophon begrüßten „unsere Dresdner Gäste“. Die Dresdner zu Gast in ihrer Stadt.

„Das Volk“ will von der Politik vor allem eines: seine Ruhe. So viele Stimmen, die im Grunde bedauern, „daß die SED so dumm war: ein bißchen mehr Reisen, ein bißchen weniger Mißwirtschaft und Korruption und alles wäre in Ordnung gewesen“. Diese eigentümliche Leblosigkeit der typischen DDR -Literatur, dieses trockene, fast unwillige Reden von sich selbst, wiederholt sich in den Gesichtern vieler Menschen. Die Chancen standen im Grunde gut für eine friedliche Diktatur der Sinne und Gedanken. Die Ratlosigkeit, mit der die meisten in die Kabinen gingen, und der gelangweilte Überdruß, mit dem bei Sonnenschein in der BRD viele den Gang zur Urne ersatzlos streichen, sind Ausdruck desselben Bedürfnisses: Die beste Politik ist die, die nicht in Erscheinung tritt, so wie das Wetter, über das man nicht spricht, das beste ist.

Dieselbe Stadt, in der vor Monaten noch Schweigemärsche im Kreis durch das Zentrum führten, Demonstranten niedergeknüppelt wurden, sich ein demokratischer „Rat der Zwanzig“ gebildet hatte, verlor in kürzester Zeit ihr Gesicht. Eine eigenständige Dresdner Kultur, eine Stadt, die ihr eigenes Fest feierte, ist nicht entfernt mehr auszumachen. Wo die Menschen sich die nackte Hand geben und fest in die Augen schauen, wo der private Diskurs schärfer ist als in Westdeutschland, am Ideal der Wahrhaftigkeit gemessen wird, darf das Öffentliche verkommen zum Gelände für Jäger der Wünsche und eine unbestimmte Furcht. Woran wird man sich erinnern, wenn die alten Bücher im Ramsch gelandet sind? Dort liegt dann Lenins Was tun? neben dem Gesamtwerk eines Dresdner Heimatdichters: „Die Sonne scheint, die Biene fliegt - hurra!, der Sozialismus siegt!“

Elke Schmitter

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