: Wider das Vergessen
Nach der Unabhängigkeit braucht Namibia unsere Solidarität und Unterstützung ■ G A S T K O M M E N T A R
Ein Traum ist wahr geworden: Namibia ist unabhängig. Heute, 106 Jahre nach Beginn der deutschen Fremdherrschaft, die drei Jahrzehnte dauerte und deren Wirkungen immer noch anhalten, und 75 Jahre nach der südafrikanischen Besetzung hat die letzte Kolonie Afrikas aufgehört zu existieren. Nicht mehr „Südwestafrika“ - die Republik Namibia ist da. Ein Freudentag, denn der Weg zur Unabhängigkeit war lang.
Würdevoll, leicht, fast charmant - so unkonventionell kann die politische Entwicklung seit dem 1.April des vergangenen Jahres gekennzeichnet werden. Die Swapo gewann die Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung im November deutlich, aber nicht überwältigend. Sie hat ihre Mehrheit von 57 Prozent klug und verantwortlich genutzt und zeigte sich fähig zum Kompromiß - gelegentlich allerdings so sehr, daß manche schon die Sozialdemokratisierung der zur Partei gewordenen Befreiungsbewegung beklagen.
Aber heute ist nicht nur ein Freudentag: Namibia beginnt mit einer schweren Hypothek - vor allem den festgefahrenen kolonialen Strukturen, einer exportorientierten Ökonomie und einem extrem geringen Grad der Selbstversorgung. Die neuen und alten Ausbeuter stehen schon Schlange um die besten Plätze im Land. Es locken devisenträchtige Wirtschaftszweige wie der Uranabbau in der weltgrößten Mine Rossing, die ökologisch verheerend sind. Die Befreiung wird den NamibierInnen nur dann mehr bescheren als einen neuen Staatsnamen, wenn die Wirtschaft des Landes ökologisch und sozial umgebaut wird - weg von der exportorientierten Monokultur, hin zu einer ökologischen Landwirtschaft mit größtmöglichem Selbstversorgungsgrad und einer gerechten Landverteilung.
Diesen Problemen muß sich auch die Solidaritätsbewegung stellen. Deren gewohnt nachlässiger Umgang mit befreiten Kolonien stimmt nicht gerade optimistisch. Domino-Theorie alternativ: Prima, ein gefallener Stein wurde wieder aufgerichtet - wenden wir uns also dem nächsten zu, der noch darniederliegt.
Aber: Die formale Unabhängigkeit ist nicht das Ende, sondern der Anfang unserer Träume. Jetzt muß die zweite, wichtigere Phase, unseres Engagements beginnen: Das freie Namibia darf nicht in Vergessenheit geraten.
Michael Vesper
Der Autor ist Namibia-Experte der Grünen und nimmt derzeit im Auftrag der Grünen an den Unabhängigkeitsfeiern in Windhuk teil.
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