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„Wir werden keine übersteigerten Forderungen stellen“

Sandinistischer Gewerkschaftsverband CST: In Nicaragua sollen die wichtigen Errungenschaften der Revolution vehement verteidigt werden  ■ I N T E R V I E W

Unmittelbar nach der Wahlniederlage der FSLN in Nicaragua hatten Mitglieder des Sandinistischen Gewerkschaftsverbandes CST nach den Waffen gerufen. Jetzt scheint die wichtigste Massenorganisation der Revolutionsregierung jedoch auf den Kurs der sandinistischen Führung, die eine konstruktive Oppositionspolitik betreiben will, einzuschwenken. Damaso Vargas ist stellvertretender Generalsekretär des CST.

taz: Was bedeutet die neue Situation für die sandinistische Gewerkschaftsbewegung?

Damaso Vargas: Wir glauben, daß der Regierungswechsel keinen Rückschritt für das Organisationsniveau der Arbeiter und die Errungenschaften der Revolution bringen muß. Es stimmt zwar, daß hier eine pro-imperialistische Allianz gewonnen hat, doch hat das Volk sein Recht auf Selbstbestimmung nicht verloren. Die heutige Beteiligung der Arbeiter an den Entscheidungen der Betriebe und des Staates ist enorm wichtig. Vor der Revolution war eine gewerkschaftliche Betätigung ja gar nicht erlaubt. Kaum sieben Prozent der Lohnempfänger waren damals organisiert, während es heute 80 Prozent sind.

Wir können uns nicht brüsten, großartige Löhne für die Arbeiter erkämpft zu haben, aber für die Souveränität und Würde der Nation haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet. Wir haben das Recht Nicaraguas auf seine Naturschätze erkämpft. Das geht nicht verloren. Die Regierung der USA kann hier nicht als Gegenleistung für Wirtschaftshilfe eine Militärbasis beanspruchen oder die Übertragung der Bergwerke oder Banken. Diese Zeiten sind vorbei.

Wie ist es möglich, daß so viele Arbeiter für die „Uno“ stimmten?

Das hängt mit der Ermüdung zusammen, die sich durch Wirtschaftsembargo und zehn Jahre unbarmherzigen Krieges eingestellt hat. Die FSLN hat nichts versprochen als Unabhängigkeit und Würde. Es ist schwierig zu messen, wieviel Unabhängigkeit und Würde wert sind, wenn man Hunger hat. Wegen der Knappheit der Mittel war es unmöglich, eine arbeiterfreundliche Politik zu betreiben. Die Stimmen wurden nicht gegen die Organisation der Arbeiter oder die Agrarreform abgegeben, sondern für den Frieden und die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse. Die neue Regierung darf daher nicht in die Vergangenheit zurückkehren.

Solange die Sandinisten an der Macht waren, dienten die Gewerkschaften eher dazu, die Regierungspolitik gegenüber den Arbeitern zu vertreten, als daß sie ein Organ zur Durchsetzung sozialer Forderungen waren. Wird die CST jetzt zu traditionellen Gewerkschaftsforderungen zurückkehren?

Es war Krieg in Nicaragua. Wir mußten für Souveränität und Unabhängigkeit kämpfen. Wir hatten jedoch schon im Programm der FSLN angekündigt, daß die Gewerkschaftsbewegung sich jetzt für bessere Löhne einsetzen würde. In künftigen Friedenszeiten darf es kein Problem sein, periodische Lohnanpassungen durchzusetzen, vor allem wenn die Regierung ihr Programm ernst nimmt und sich für die Arbeiter einsetzt.

Wir müssen einen Mindestlohn durchsetzen, der einem vollen Grundwarenkorb entspricht. Wir wollen keine Arbeiterklasse, die verhungert, wenn es darum geht, das Land wieder auf die Beine zu bringen. Daß der Kaffeepreis wieder steigt, ist gut für das Land und muß sich auf unsere Gehälter ebenso auswirken wie die Aufhebung des Handelsembargos. Wir werden keine übersteigerten Forderungen erheben, aber wir dringen darauf, daß die hereinkommenden Mittel den Arbeitern zugute kommen, die zehn Jahre lang Opfer gebracht haben.

Wenn die Sandinisten von unten regieren wollen, werden sie sich auf das bewaffnete Volk und die Massenorganisationen stützen. Den Gewerkschaften kommt also eine eminent politische Rolle zu: Sie können entscheiden, ob sie die Regierung arbeiten lassen oder destabilisieren. Wie lange gebt Ihr der Uno-Regierung Zeit, bevor es zu ersten Massenmobilisierungen kommt?

Das hängt davon ab, welche Haltung die Regierung einnimmt. Die Löhne müssen so bald wie möglich angehoben werden. Wir sprechen nicht vom Lebensniveau eines Arbeiters in Europa, der sich ein Auto leisten kann, sondern von einem Arbeiter in der Dritten Welt, der essen und sich kleiden will und Medikamente für seine Familie erwerben. Wir werden nicht die Privatisierung aller Betriebe zulassen. Pharmazeutische Betriebe wie SOLKA, metallverarbeitende Betriebe oder die Zuckermühlen darf der Staat nicht aus der Hand geben.

Der Staat muß auch im Außenhandel eine Rolle behalten, damit nicht einfach jeder Unternehmer seine Dollars einsteckt. Das Programm der Bauernförderung wäre unter einem System der Privatbanken undenkbar. Wenn die „Uno“ am 26. April ein Gesetz ins Parlament bringt, das die Agrarreform aufhebt, dann gibt es am selben Tag Streiks. Die „Uno“ muß mit Vernunft vorgehen, denn sie weiß, daß das Volk viel Macht hat.

Vor 14 Tagen haben die Arbeiter hier die Verteilung von Waffen zur Verteidigung ihrer Errungenschaften gefordert. Wird es bewaffnete Arbeitermilizen geben?

Es gibt hier eine von der Verfassung abgesicherte Bereitschaft der Arbeiter, sich gegen äußere Aggressionen zu verteidigen. Nach dem Wahltag durchlebten wir ganz schwierige Tage unter großen Spannungen. Aber nach den Erklärungen von Präsident Ortega haben sich die Gemüter etwas abgekühlt und momentan herrscht eine friedliche Stimmung, die wir hoffentlich erhalten können.

Das Volk muß sich natürlich bewaffnen, um seine Betriebe und Wohnviertel zu verteidigen. Wir werden Arbeitermilizen im Rahmen der Verfassung erhalten, um die Errungenschaften der Revolution gegen mögliche Aggressionen zu verteidigen.

Diese Regierung hat keine Möglichkeit, die Revolution rückgängig zu machen. Das soll nicht heißen, daß wir unsere Forderungen mit Waffengewalt durchsetzen werden. Nein, wir werden die legalen Kanäle benutzen.

Wir werden dafür kämpfen, daß diese Regierung ihr Programm erfüllt. Denn man muß anerkennen, daß sie ein fortschrittliches Programm hat: Wer von neuem Arbeitsgesetz redet, wer die Löhne erhöhen und die Agrarreform vertiefen will, ist fortschrittlich. Wenn dieses Programm also erfüllt wird, dann entwickelt sich auch die Revolution weiter. Rückschritte werden wir nicht zulassen.

Interview: Ralf Leonhard, Managua

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