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Deserteure an der Saale

Erste privat organisierte Kunstausstellung „Deserteure“ in Naumburg / Zusammenarbeit vom Aachener „Arbeitskreis von der Fahne“ und dem Bürgerkomitee Städtepartnerschaft  ■  Von Bernd Müllender

Naumburg (taz) - Wochenlang drehte sich alles um das Kreuz, das erste richtige, demokratische, freie Wahlkreuz. Andere Kreuze zeigt das Bild des Aachener Malers Franz-Josef Kochs: Totenkreuze, tausende davon, schwarz, bedrohlich, in langer Reihe auf einem Soldatenfriedhof, den ein einsamer Weg durchschneidet. Hier kommt es auf das eine Kreuz an, das fehlt. Die Lücke. Das Loch. Kein Kreuz an einer kleinen Stelle zwischendrin, wo der Soldat liegen würde, wenn er nicht desertiert wäre.

Kochs durch seine symbolische Schlichtheit beeindruckendes Werk ist eines von 38 Exponaten, die seit Samstag im der Aula des Naumburger Hauses der jungen Pioniere zu sehen ist. Kunstwerke unter dem Titel Deserteure von gut 30 AachenerInnen und einer Handvoll KünstlerInnen aus der Partnerstadt in der DDR.

Die Ausstellung, initiiert von einigen AachenerInnen aus dem grünen und linken Spektrum, fand in der Bundesrepublik vergangenen November ein riesiges Echo. Über 1.000 BesucherInnen und reihenweise Zeitungsberichte. Die NaumburgerInnen wollten sie gleich herüberholen. Doch erst jetzt, mit allerlei Tricks und Verbindungen ist es ihnen gelungen. Und die Bilder über die Grauen des Krieges, über Todesmut und Verzweiflung der Fahnenflüchtigen (an die 40.000 wurden von Hitlers Wehrmachtschergen erwischt und hingerichtet) zieren eine altehrwürdige Aula, wo vor einem halben Jahr noch im Sinne des SED-Kadavergehorsams gelehrt und erlogen wurde, und die Schüler einen Stock darüber ihre ersten Schießübungen für den Sozialismus absolvieren mußten.

Zum erstenmal findet eine privat zusammengestellte Kunstausstellung in Naumburg, fernab von den früher üblichen geregelten und zensierenden Aktionen des ehemaligen staatlichen Kulturbundes der DDR, statt.

Einige Dutzend Neugierige hatte schon die Eröffnung der ersten privaten Kunstausstellung in Naumburg angelockt. Da mischten sich Staunen über bislang unbekannte künstlerische Ausdrucksmöglickeiten mit der Begeisterung, daß „so was“ jetzt möglich ist: Vielen BesucherInnen erscheint das „unglaublich, unvorstellbar“, „toll“. „Kunst war ja bei uns vierzig Jahre lang genauso gleichgeschaltet wie bei den Nazis.“

Ein junger NaumburgerInnen wollte gleich Informationen über Totalverweigerung in der Bundesrepublik: Durchaus ein passendes Anliegen, denn die Ausstellungsorganisatoren wollen nicht nur deutsche Geschichte über die Kunst transportieren, sondern auch über legale und illegale Verweigerung heute Hilfestellung bieten. Dazu dient auch der informative Katalog, der für zehn Mark zu haben ist.

Doch neben der Begeisterung war auch deutlich spürbare Überforderung bei manchen BesucherInnen zu hören: Die grellen, leicht faßbaren Motive schienen noch problemlos nachvollziehbar, mit verständlicher Aussagekraft. Mit jedem kleinsten Grad an Abstraktheit und Symbolik aber wuchs exponentiell, bei vielen zumindest, die Überforderung das Werk „zu verstehen“. So gab es immer wieder die Bitte nach Führungen an die westdeutschen Gäste: „Ihr müßtet mich“, sagte einer, „am besten an die Hand nehmen und mir die Bilder erklären. Wir verstehen doch nichts von Kunst.“

Wiedervereinigung bedeutet eben nicht nur die brutalen Regeln der Marktwirtschaft verstehen zu lernen. Wie gut, daß es gerade in den Tagen der Kreuze auch solche Bilder wie das von Franz-Josef Kochs gibt, die zu einer ersten neuen Kunstannäherung führen können.

Die deutsch-deutsche Kunstausstellung Deserteure im Naumburger Haus der jungen Pioniere ist noch bis zum 7. April geöffnet. Werktags von 14 bis 18 Uhr. Am Wochenende schon ab 11 Uhr.

Kontaktadresse: Bürgerkomitee, c/o Christoph Bransche, Hinter der Post 6, Naumburg 4800.

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