: Verklärt und drastisch
■ Clemens Kubys Dokumentarfilm über den gewaltlosen Widerstand in Tibet
Vielleicht lag es an der augenfälligen Überzahl der Kinogängerinnen, die sich eingefunden hatten, um Clemens Kubys 1989 gedrehten Dokumentarfilm über den spirituellen Widerstand des tibetanischen Volkes gegen die chinesischen Besatzer zu sehen, vielleicht an dem orthodoxen „mein Gott, ist das phallisch“, beim Langnese-Spot. Letzterer gab noch einen Geschmack materialistisch bestimmter Lebenswelt mit auf den Weg, bevor sich die Zuschauerin mit dem am Himmel greisenden Geier zu übersinnlichen Sphären aufschwingen durfte - Kubys Dokumentarfilm jedenfalls über den „Widerspruch zwischen materialistischer und spiritueller Weltanschauung“ hinterläßt ein Unbehagen. Zur Rettung dieses schönen und einfachen Gedankens wird nämlich die andere Hälfte tibetischer Realität offenbar bewußt ausgeblendet.
Als Hüterinnen tibetischer Tradition treten Frauen nur indirekt in der Pose demütiger und glücklicher Ehrerbietung in Erscheinung - auf dem Bauch im Straßenstaub. Dabei sind sie es, die einen Großteil der Spenden und Naturalien erwirtschaften, mit denen allmählich die 6.259 von den Chinesen zerstörten Klöster wieder aufgebaut werden. Das Spenden sei eine spirituelle Charakterübung in die Einsicht, daß alles Materielle nicht existiert. „Wir tun alles, um die Beziehung zur spirituellen Welt wiederherzustellen“, erklärt ein Tibeter die Opferbereitschaft seines Volkes. Verwaltet wird die Welt des Geistes jedoch von Äbten und Mönchen, die sich im Gedanken an den Kreislauf der Wiedergeburt in Mitgefühl und Liebe üben, bis eines Tages ihr Dalai Lama aus dem Exil wiederkehren und Tibet wieder den Tibetern gehören wird.
Die Chinesen haben das touristische Potential dieser Weltordnung bereits erkannt und die Restauration der wichtigsten Kulturdenkmäler inzwischen akzeptiert. Die Bilanz der 30jährigen chinesischen Herrschaft läßt sich allerdings nicht beschönigen. Ein Sechstel der tibetischen Bevölkerung ist umgekommen, davon allein 8000 Mönche. 90% Prozent der tibetischen Texte sind verbrannt, riesige Waldflächen in der strategisch wichtigen Region abgeholzt und noch immer 500.000 chinesische Soldaten auf dem Hochplateau stationiert.
So verklärt Kubys Zugang zur „Welt des Geistes“ erscheint, so drastisch diesseitig sind die spektakulären Videoaufnahmen von der blutigen Tortur durch die chinesischen Polizeikräfte, die hemmungslos auf die demonstrierenden Tibeter einprügeln. Allein mit der Konfrontation chinesischer Gewalttätigkeit und tibetischer Friedfertigkeit ist es nicht getan, auch nicht vor dem Hintergrund reicher Informationen über Geschichte und Struktur eines Landes, das immerhin zehnmal so groß ist wie die Bundesrepublik. Ein differenzierterer Blick auf Geist und Motive des Widerstands hätte der chinesischen Repression und Propaganda mehr entgegengesetzt.
Simone Lenz
Clemens Kuby: Tibet - Widerstand des Geistes, BRD 1989, 90 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen