: Die Kinder aus Namibia sind jetzt unerwünscht
In der „Schule der Freundschaft“ bei Magdeburg werden seit 1985 Flüchtlingskinder unterrichtet / Die meisten wollen schnell zurück - und das nicht nur, weil ihr Land gerade unabhängig geworden ist: Der Rassismus begegnet ihnen täglich ■ Von Kotte und Kraushaar
Staßfurt bei Magdeburg, eine graue, ausgefranste Provinzstadt, 28.000 Einwohner. Große Senken im Straßenbelag, holprig wäre zuwenig gesagt, riesige Baulücken in der Innenstadt. Mehr als in anderen Orten der DDR muß das Gemisch aus Fünfziger-Jahre-Bauten und Gründerzeitresten mit Plattenbeton aufgefüllt werden, denn Staßfurt, das sich stolz „weltweite Wiege des Kalibergbaus“ nennt, sackt an vielen Stellen ab.
Heute sind die Stollen längst geschlossen, chemische Industrie und Elektronikfabriken sind an ihre Stelle getreten. „Staßfurt ist die vorteilhafteste Stadt der DDR: Wer hier wohnt, dem gefällt's im Urlaub überall“, bringt der Volksmund das Leben in der häßlichen Industriestadt auf den Punkt.
Die siebzehnjährige Ndamona will auf jeden Fall hier weg. „Ich würde lieber heute als morgen zurückgehen.“ Ndamona Ya Otto gehört zu den 291 namibischen Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen sieben und siebzehn Jahren, die an der Staßfurter „Schule der Freundschaft“ leben und unterrichtet werden. „Es ist alles so unsicher geworden, man weiß nicht, was der nächste Tag bringt.“ Ihre Freundin Perpetwa (16) pflichtet ihr bei: „Vor allem in den letzten Monaten ist es in Staßfurt ganz schlimm geworden, die Leute beschimpfen uns auf der Straße.“ Vor der „Wende“ im November konnten sie noch in die örtliche Disko gehen, jetzt heißt es dort „keine Karten mehr“ oder „nur für Weiße“. Nampito (17) berichtet: „Gestern waren wir im Kaufhaus in Magdeburg, da hat uns ein Mann angebrüllt, wir sollten wieder dahin verschwinden, wo wir herkommen.“
Natürlich könnten sie mit ihren ErzieherInnen und LehrerInnen über solche rassistischen Angriffe reden, sagen die drei, doch das nütze nicht viel, denn die würden raten, einfach weiterzugehen und so zu tun als sei nichts gewesen. Ndamona: „Wenn du dreimal am Tag so was hörst, dann kannst du nicht einfach die Schnauze halten.“
Finanziert vom Solidaritätskomitee der DDR
Die „Schule der Freundschaft“, am äußersten Rand der Stadt, noch hinter dem „Fernsehgerätewerk Friedrich Engels“ in einem Neubaugebiet gelegen, wurde 1981 innerhalb eines Jahres gebaut. Vier siebenstöckige Wohnblocks, ein Schulhaus, eine Turnhalle, eine Mensa, ein Flachbau für Büro - und Verwaltungsräume, im Häuschen am Eingangstor sitzen ein Pförtner und ein Polizist. Aus Mitteln des staatlichen „Solidaritätskomitees der DDR“ finanziert, diente die „Schule der Freundschaft“ zunächst der Schul- und Berufsausbildung von mehr als 900 Kindern aus Mosambik, die zwischen den beiden Staaten vertraglich vereinbart worden war. Als sie wieder fort waren, kamen 1985 die ersten namibischen Kinder.
Nach der Bombardierung des Swapo-Flüchtlingslagers Kassinga in Angola durch die südafrikanische Armee waren sie schon 1979 in die DDR geschickt worden und lebten zunächst im Kinderheim Schloß Bellin bei Güstrow in Mecklenburg. Die jüngeren der Swapo-Kids kamen erst im letzten Sommer, nachdem die Swapo wegen des Rückzugs aus Angola das Lager Kwanza-Sul auflösen mußte. 140 dieser Kleinkinder leben weiter in Bellin.
Die Zukunft der Schule ist ungewiß, alle warten auf die Verhandlungen der neuen DDR-Regierung mit der Swapo -Regierung in Namibia. Rund 210 Angestellte, davon 105 LehrerInnen und ErzieherInnen, fürchten um ihre Arbeitsplätze, die Kinder und Jugendlichen wissen nicht, wie lange sie noch in der DDR bleiben werden. Ndamona: „Mir würde es nichts ausmachen, schon bald wieder in Namibia zu sein, weil meine Eltern dort sind. Aber andere hier, die keine Verbindung mehr nach Namibia haben, die würden sich zwar freuen, wenn sie hier weg könnten, weil sie dann nicht mehr beschimpft würden. Die wüßten aber in Namibia nicht wohin.“
Über die Herkunft der namibischen Kinder in der DDR wurde in den letzten Wochen vor allem in der konservativen BRD -Presse heftig spekuliert, Auslöser waren Mitteilungen der zwielichtigen „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ in Frankfurt. Es wurde der Eindruck erweckt, daß die Kinder von der Swapo in die DDR verschleppt worden seien. Bei jenen Kindern, deren Herkunft nicht nachprüfbar sei, müsse man annehmen, daß es sich um Kinder ehemaliger weiblicher politischer Gefangener der Swapo handele. Herbert Rudnitzki, Unterrichtsdirektor der Schule, weiß nichts davon: „Das sind Flüchtlingskinder, die hier herkamen, als die Lager aufgelöst wurden. Fragen Sie mich nicht, wer da mit wem geredet hat. Es steht im Zusammenhang mit dem Rückzugsabkommen zwischen Kuba, Angola und der Republik Südafrika.“
Für die negative Berichterstattung in den Westmedien hat er keinerlei Verständnis: „Das ist bösartig, aber es gibt wohl Leute, die das so sehen.“ Alle Eltern, soweit sie noch am Leben seien, wüßten, wo sich ihre Kinder befinden. Mitunter seien auch schon einzelne Eltern zu Besuch hiergewesen, Rudnitzki erinnert sich an eine Mutter, Swapo-Vertreterin in Neuseeland, die hier ihr Kind besucht hat. „Die meisten unserer Kinder sind Kinder von Mitgliedern der Swapo.“
In den Klassenzimmern und Wohneinheiten der Kinder und Jugendlichen ist die Swapo überall präsent: Die Resolution 435 des UN-Sicherheitsrates, die 1978 die Grundlage für die Lösung Namibias von Südafrika legte, hängt gerahmt neben einer Wandtafel, ein Bild des ersten namibischen Präsidenten Sam Nujoma ist neben einem Gorbatschow-Konterfei im Büro des Unterrichtsdirektors plaziert, auf dem Schulhof weht neben Hammer und Zirkel die namibische Nationalflagge. Sorgfältig geklebte Zeitungsberichte informieren an Flur- und Klassenzimmerwänden über die Kämpfe der Swapo, handschriftlich äußert sich daneben einer in einem Brief über das „Krebsgeschwür Rassismus“.
Mittwochs zum „Appell“
Jeden Mittwoch, einziger Tag der Woche, an dem die Kinder keinen Ausgang haben, ruft der Swapo-Beauftragte für die Schule, Werner Ndumbu, zum „Appell“, die SchülerInnen diskutieren dann über Probleme des täglichen Zusammenlebens und werden über die aktuelle Situation in ihrer Heimat informiert. Auf die Frage, wie sie zur Politik der Swapo stehen, antworten Ndamona und Perpetwa nur zögerlich: „Die Swapo hat uns nun mal hergebracht, und wir kennen halt nur diese Partei. Von den anderen Parteien wissen wir zwar, kennen aber nicht ihre Wahlprogramme. Und unser Swapo -Vertreter erzählt uns nur von der Swapo. Aber natürlich stehen wir zur Swapo.“
Ndumbu, der in Dänemark zum Lehrer ausgebildet wurde, möchte nicht über seine Arbeit an der Schule reden, auch zur Zukunft der Einrichtung will er sich nicht äußern, die sei Sache der neuen DDR-Regierung und der Regierung Namibias.
Unterrichtsdirektor Rudnitzki sorgt sich um die Zukunft der Schule und der Kinder. Er hofft, daß die Kinder entweder ihre schulische Ausbildung in Staßfurt beenden können oder in Namibia „reibungslos“ eingegliedert werden und einen Beruf finden.
Bleibt die Schule ein
„Objekt der Solidarität?
Für die „Schule der Freundschaft“ selbst wünscht er sich, daß sie ein „Objekt der Solidarität“ bleibt. Für die Zeit „danach“, wenn die neue DDR-Regierung nicht mehr zahlen will - derzeitiger Jahresetat „etwa neun bis zehn Millionen Mark“ - sei die Schule auf jeden Fall gerüstet. Schon jetzt ist eine kleine Gruppe von Kubanern auf dem Gelände untergebracht, die hier deutsch lernt, ihr soll eine Gruppe vietnamesischer SchülerInnen folgen.
Seit der „Wende“ wird die Schule auch schon zur Ausbildung von Englischlehrern für die DDR genutzt. Ein von der Schule nicht belegtes Wohnhaus hat man inzwischen dem Rat der Stadt zur Verfügung gestellt. Auch daß hier dereinst eine ganz normale Schule für DDR-Kinder eingerichtet wird, kann Rudnitzki sich vorstellen.
Joachim Scheuermann, seit Beginn Lehrer für Physik und Mathematik an der „Schule der Freundschaft“, kennt nur Gerüchte. Daß die Schule geschlossen wird, erzähle man sich in der Stadt. Er selbst möchte gerne weiterhin die namibischen Kinder unterrichten: „Die Arbeit hier macht mir mehr Spaß als woanders.“ Die Kinder in den durchweg kleinen Klassen mit maximal 15 SchülerInnen seien „lernwilliger“ als an einer normalen Schule, auch wenn sie durch die Ganztagserziehung und die Internatssituation belasteter seien.
Tatsächlich ist der Alltag der Kinder ordentlich durchorganisiert. Aufstehen um 5 Uhr 45, Frühstück bis halb sieben, dann Aufräumen und Saubermachen der Dreiraumwohnungen, in denen je sechs Mädchen oder Jungen zusammenleben. „Sauberkeit und Ordnung werden täglich von den Erziehern kontrolliert“, berichtet Ndamona. Ab 7 Uhr 25 ist Unterricht bis 13 Uhr, danach wird gegessen, dann sind die Hausaufgaben dran, ebenfalls kontrolliert von den ErzieherInnen, die jederzeit Zugang zu den Wohnungen haben.
Das geht natürlich nicht ohne Konflikte ab, und so erzählen Ndamonas Klassenkameraden Waldheim, Hendrik und Philipp, daß sie sich nach dem 9.November gegen die Kontrollen aufgelehnt haben. Sie fordern, daß die ErzieherInnen nur noch morgens und abends nach dem Rechten sehen. Auch das relativ geringe Taschengeld von 20 Mark pro Monat und die Tatsache, daß die Kids im Fernsehen nur DDR1 und DDR2 empfangen können, stößt nicht gerade auf Begeisterung. „Auf dem Wohnhaus der Lehrer ist eine größere Antenne für Westprogramme. Als wir auch eine wollten und sogar anboten, sie selbst zu bezahlen, wurde das abgelehnt.“
Zum ersten Mal Tag
der offenen Tür
Gegenüber der Öffentlichkeit allerdings setzt Schuldirektor Eduard August jetzt ganz auf Glasnost. Daß in den Köpfen vieler Staßfurter das Vorurteil herumschwirrt, die „Schule der Freundschaft“ sei „eine Art Kindergefängnis“, habe auch mit der bisherigen Informationspolitik der Schule zu tun. „Da ist viel 'Buhhaftes‘ aufgebaut worden, weil wir nur so wenig nach draußen gegeben haben.“ Um die abgeschottete Schule, die bisher nur mit einem Passierschein betreten werden durfte, nach außen zu öffnen, hat er in diesem Monat den ersten Tag der offenen Tür veranstaltet. Die Resonanz blieb allerdings gering, etwa 25 Interessierte kamen.
Viel zuwenig, die Vorurteile in der Stadt grassieren weiter. „Mich stört, daß sie hier sind und auf unsere Kosten leben. Und dann sind sie auch noch frech“, meint eine 25jährige Druckereiarbeiterin. Sie beschwert sich darüber, daß die namibischen Kinder mit Gutscheinen einkaufen können, „und unsere Kinder kriegen nichts“. Ein 32jähriger Elektriker: „Wir haben nichts davon und pumpen immer nur Geld rein. Die werden hier gut ausgebildet, und dann kommt von denen nur die Hälfte da unten an, der Rest setzt sich ins westliche Ausland ab.“ - „Die machen immer nur Krach abends und werfen Papier in der Gegend rum“, wissen zwei zehnjährige Steppkes. Und eine Buchhalterin sagt: „Die Kinder kriegen die Bananen und Apfelsinen, und unsere Kinder kriegen nichts. Die haben die Bananen schon weggeschmissen, wenn sie nur ein paar braune Stellen hatten.“
Selbst ein PDSler, mitten im Wahlkampf am Infotisch in der Innenstadt, meint zwar, daß Solidarität nötig ist und die Schule ihre Berechtigung hat: „Aber die müssen jetzt auch zusammenrücken. Wir brauchen bei der Wohnungsnot mehr Platz auch für unsere Leute.“ Ob die denn da einziehen würden? „Na ja, zumindest als Wohnheim für Bauarbeiter könnte man doch die Schule mitnutzen.“
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