: Lager jetzt schließen?
■ Für die SPD-regierten Bundesländer kommt die von Bonn geplante Schließung der Notaufnahmelager viel zu spät
Bonn/Hannover (ap/taz) - Mit der Mehrheit der SPD-regierten Länder hat sich gestern der Sozialausschuß des Bundesrates gegen den Plan der Bundesregierung ausgesprochen, das Notaufnahmeverfahren für Übersiedler zum 1. Juli zu beenden.
Die Westberliner Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) sagte nach einer Sitzung des Bundesratssozialausschusses im Reichstagsgebäude. Voraussetzungen für das Notaufnahmeverfahren gebe es nach der Volkskammerwahl schon jetzt nicht mehr. Der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Bernhard Jagoda, verteidigte dagegen den Zeitplan. Durch eine zu rasche Aufhebung könne ein „Vertrauenstatbestand erschüttert“ werden, der ein Abschaffungsgesetz verfassungsrechtlich angreifbar machen könnte.
Die Mehrheit der SPD-regierten Länder im Sozialausschuß des Bundesrates kommt durch das Stimmrecht Berlins zustande. Es wurde damit gerechnet, daß das Abstimmungsergebnis vom Mittwoch bei der Plenarsitzung am 6. April in Bonn durch die Unionsmehrheit wieder umgekehrt wird. Im Plenum des Bundesrates hat Berlin kein Stimmrecht.
Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, der noch am Freitag vor dem Bundesrat ein Ende des Notaufnahmeverfahrens sofort nach der DDR-Wahl verlangt hatte, will einen Streit mit der Bundesregierung in Sachen Notaufnahme vermeiden. Niedersachsen werde sich in jedem Fall gesetzestreu verhalten und bis zur Aufhebung des entsprechenden Gesetzes DDR-Übersiedler in Landeseinrichtungen aufnehmen, teilte der Sprecher der Landesregierung gestern in Hannover mit. Den 1. Juli als Termin für die Aufhebung halte die Landesregierung weiterhin „für nicht richtig“, sagte der Regierungssprecher. In den Beratungen des Bundesrates über den im Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf werde Niedersachsen zusammen mit den anderen Bundesländern noch versuchen, seine Vorstellungen einzubringen.
Wie das Bundesinnenministerium in Bonn mitteilte, wurden am Dienstag 1.156 Übersiedler registriert. Am Montag waren es 1.539 gewesen, während in den vergangenen Wochen durchschnittlich rund 2.000 Menschen täglich aus der DDR in die Bundesrepublik wechselten. Insgesamt kamen seit Anfang des Jahres 146.757 Übersiedler.
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