: „Das alles drängt zur Eile“
Elmar Pieroth, ehemaliger Wirtschaftssenator im Diepgen-Senat von West-Berlin und designierter DDR-Wirtschaftsminister, über eine künftige Zugehörigkeit der DDR zur EG ■ I N T E R V I E W
taz: Wann wird der neue Wirtschaftsminister der DDR einen Beitrittsantrag zur EG stellen?
Elmar Pieroth: Möglichst rasch. Die Zugehörigkeit zur EG erleichtert die Integration der DDR-Wirtschaft und ist auch ein Brückenschlag für unsere Aufgabe, den Volkswirtschaften in Osteuropa zu helfen.
Also eine EG-Mitgliedschaft der DDR noch vor der deutschen Einigung?
Ich hoffe, daß das nicht auszuschließen ist.
Was kann die DDR von der EG erwarten?
Nach den bisherigen Kriterien der EG-Förderung wäre das recht viel. Aber man darf den Partnern in der EG auch nicht zuviel zumuten. Die Kriterien sind ja seinerzeit ohne Begünstigung für die DDR ausgehandelt worden.
In Brüssel war zuletzt die Rede von acht Milliarden DM jährlich.
Ich nenne keine Zahlen, weil ich mich zuerst in die DDR -Zahlen hineinarbeiten muß. Die Infrastruktur hat überall einen ungeheuren Nachholbedarf. So gesehen wäre es fast unwichtig, wo man anfängt. Die Kommunikation, das Telefonwesen - all das hört sich nicht so dringend an, wie eine bessere medizinische Grundausstattung. Aber zur Verbesserung der Lebensverhältnisse sind all diese Fragen gleich wichtig.
Der große Problemsektor der EG ist ja die Landwirtschaft. Haben die DDR-Bauern da nicht große Angst?
Die Ängste sind da und ich rate auch den Landwirten zu einem sehr behutsamen Vorgehen. Die brauchen aber meinen Rat gar nicht. Ich habe den Eindruck, sie bleiben viel eher in ihren Genossenschaften, den LPGs, als die Handwerker in ihren, den PGHs. Die werden sich individuell selbständig machen. Aber was die EG für die Landwirtschaft jedes einzelnen Mitgliedslandes leistet, wird sie dann auch für das größer werdende Mitglied Deutschland leisten und das stellt ja die Bauern in der DDR nicht schlechter.
Bislang ist ja eine EG-Mitgliedschaft an die Nato -Mitgliedschaft gebunden. Was heißt das für die DDR?
Wir glauben, daß sich die Nato-Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands gut kombinieren läßt mit den Sicherheitsinteressen aller in Europa.
Und die Cocom-Liste, mit der High-Tech-Exporte in die DDR unterbunden werden?
Die wird in ganz hohem Maße in ganz kurzer Zeit der Vergangenheit angehören.
Die USA haben ja abgelehnt, darüber zu sprechen.
Ich bleibe bei meiner Aussage.
Bisher haben alle EG-Mitgliedsländer eigene Vertretungen im Parlament, in der Kommission, im Ministerrat. Wer soll die Interessen der DDR vertreten?
Die lassen sich sicher, wenn auch durch verschiedene Personen, gemeinsam vertreten. Wir dürfen nicht die Wirkung einzelner Menschen unterschätzen. So wird ja auch für Bayern und Niedersachsen innerhalb einer deutschen Vertretung in Brüssel gerungen.
Die DDR wird also keinen Anspruch auf einen eigenen EG -Kommissar erheben?
Das ist kaum nötig.
Das Gerangel um die Europäische Währungsunion zieht sich ja viele Jahre hin. Warum soll ausgerechnet eine deutsch -deutsche Union in Monaten aufzubauen sein?
Es wird rasch laufen. Und es ist ein Unterschied, ob Deutschland, England, Frankreich und andere auf eine eigene Währungs- und damit eigene Wirtschaftspolitik verzichten zugunsten einer Europäischen Wärungsunion oder ob das zwei deutsche Staaten tun. Aber die technischen Umstellungsschwierigkeiten bleiben. Sie werden aber in keinem Fall leichter lösbar, wenn wir die Währungsunion aufschieben. Menschen, die jetzt für gute Arbeit gutes Geld verdienen wollen, werden enttäuscht. Diejenigen, die sich selbständig machen wollen, wagen jetzt nicht den Anfang. In Handwerksbetriebe und Kombinate muß jetzt gutes Geld fließen, damit sie investieren und modernisieren können. Das alles drängt zur Eile.
Gewählt wurde am Sonntag eine neue Regierung und wohl auch die deutsche Vereinigung. Kein Thema war die Europäische Gemeinschaft. Wird dazu das DDR-Wahlvolk noch mal gefragt?
Die, die nachgedacht haben, wußten natürlich, daß die BRD in der EG ist. Und die Stimmung, die derzeit im RGW-Bereich in Richtung EG festzustellen ist, wird auch für die DDR gelten.
Interview: dora/ulk
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