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DDR-Frauen gegen § 218

■ Übersiedlerinnen bei Pro Familia Interview mit Hanna Staud, Geschäftsführerin von Pro Familia in Bremen

taz: Seit dem 9. November ist die Mauer weg - kommen jetzt die Übersiedlerinnen, die Frauen aus der DDR, wegen Abtreibungen zur Pro Familia Bremen?

Hanna Staud: Zahlen kann ich nicht nennen, aber das fing im November an und nimmt stetig zu. Das gehört jetzt zu unserem Alltag. Wir sind damit konfrontiert, daß auch Übersiedlerinnen ungewollt schwanger werden und gar nicht wissen, warum sie da eigentlich zu uns kommen müssen. Sie werden vom Arzt zu uns verwiesen zur Beratung und sind eher erstaunt über das gesetztliche Procedere in der BRD: In der DDR kann jede Frau bis zur 12. Woche entscheiden, ob sie einen Abbruch machen möchte oder nicht. Hier braucht jede Frau eine Indikation und muß sich vor dem Abbruch zwangsberaten lassen - das ist schwer für die DDR-Frauen zu begreifen, sie reagieren mit Ablehnung, Wut, dem Gefühl der Gängelung.

Gerade Frauen, die frauen bewußter sind, finden es befremdend, daß andere Menschen über sie und ihren Körper entscheiden sollen.

taz: Nun ist die DDR nicht gerade für ihre radikale Frauenbewegung bekannt. Hatten sich denn bundesdeutsche Feministinnen schon mit dem schlechten Zustand abgefunden?

Staud: Ja. Es gibt das Gesetz seit 1976, da ist so ein Gewöhnungsprozeß passiert. Es gab und gibt immer Bewegung gegen den 218. Aber durch die Frauen, die das in der DDR anders erlebt haben, ist die Konfrontation mit dem Gesetz jetzt sehr stark. Und wenn wir in der Beratung nach 218 b über die sozialen Hilfen informieren und laut Gesetz die Frauen bewegen sollen, sich zu überlegen, das Kind doch auszutragen - da sind die ganz besonders frappiert aus ihren Erfahrungen in der DDR mit optimaler Kinderversorgung, Krippen-, Hort- und Kindergartenplätzen.

taz: Also gäbe es hier viel mehr soziale Gründe für einen Abbruch, andererseits ist der Druck gegen Abbruch viel stärker.

Staud: Ja. Die Situation wird von den DDR-Frauen als paradox erlebt, und das wird uns auch widergespiegelt, ganz stark. Wir lehnen ja auch den 218 ab, aber wir müssen damit leben und versuchen, ihn für die Frauen auszunutzen. In der Konfrontation mit den Übersiedlerinnen wird uns der Charakter des 218 noch mal ganz, ganz deutlich. Fragen: S.P

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