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Die Chaos-C Computer-Messe

■ Wer ganz unbefangen zur CeBIT geht, um sich einfach mal umzusehen, wird bald erschlagen sein von der Fülle des Angebots. Wer sich jedoch im Hard- und Software-Getümmel einen Überblick verschaffen will, sollte sich den - zugegebenermaßen teuren - Messekatalog ansehen.

DIETMAR BARTZ tat's und staunte.

ie teuerste Eintrittskarte für die CeBIT, eine am Messeeingang gelöste Tageskarte ohne Ermäßigung, kostet 24 DM; klüger war, wer das Ticket ins Computerland um fünf Mark billiger im Vorverkauf erworben hat. Wer den zweibändigen Katalog für die Schau käuflich erwerben will, muß noch einmal 28 DM drauflegen - und wäre, wenn er oder sie ihn wirklich erschöpfend ausnutzen will, gut damit beraten gewesen, sich die fast 2.000 Seiten nach Hause schicken zu lassen und den Katalog in Ruhe zu studieren. Die mehr als zwei Kilo Papier ausgerechnet auf der Messe nach Interessantem zu durchstöbern, dürfte in dem Trubel von täglich 80.000 Fachleuten und Schaulustigen eher schwierig sein.

Gliederung und Systematik lassen kaum etwas zu wünschen übrig - wie sollten sie auch, ist die CeBIT doch die weltweit wohl wichtigste Fachmesse für Büro-, Informations und Telekommunikationstechnik. Der erste Band enthält nach den üblichen Abschnitten über Messeorganisation, Information und Service, Fachtagungen und Sonderschauen vor allem das alphabetische Verzeichnis der fast 4.000 Aussteller, dann dieselben noch einmal nach den knapp 40 Herkunftsländern geordnet. Südafrika fehlt erfreulicherweise auch diesmal. Insgesamt kaum ein Dutzend Firmen sind aus Osteuropa gekommen, drei davon aus der DDR, deren Name, den Gepflogenheiten entsprechend, ausgeschrieben ist.

Der zweite Band enthält nur das alphabetische Verzeichnis nach Produkten und das eigentliche Kernstück des Kataloges, das Verzeichnis der Aussteller nach Produktgruppen. Das endlich lichtet den Dschungel der Angebote erheblich und bringt soviel Ordnung in die ausgestellten Waren, daß die Messe AG sich das System hat urheberrechtlich schützen lassen. Das Zusammenwachsen der drei Bereiche Büro, Information und Telekommunikation sowohl im Hard- wie im Softwarebereich macht die Gliederung zwar zuweilen ein bißchen problematisch, und so haben die Querverweise in andere Produktgruppen erneut zugenommen, aber ein Messekatalog ist keine wissenschaftliche Edition. Wer über bessere Gliederungen streiten mag, kann das mit den VerfasserInnen der Bände gerne tun - auch wenn es tatsächlich wenig einleuchtet, wenn die Gruppe 5, Thema Forschung, nur sechs Seiten umfaßt und die Gruppe 6, Software für Komplettlösungen und Einzelanwendungen, fast 200.

reundInnen der Statistik wollen wir auch nicht verheimlichen, daß sich gegenüber früheren CeBIT-Katalogen wieder allerhand Verschiebungen bemerkbar gemacht haben. Der Anteil der Angebote in der Gruppe 1, der die Computer, Peripheriegeräte und Zubehör umfaßt, ist gegenüber 1987 von 29 auf 27 Prozent gefallen, während die Nachrichtentechnik von der Telefonvermittlung bis zu ISDN und Btx um ein auf 17 Prozent zugenommen hat. Die Büro- und Ladentechnik der Gruppe 3, vom Diktiergerät über Tresore bis zum Desktop Publishing, fiel im Dreijahreszeitraum deutlich von 24 auf 20 Prozent, während der Anteil der Angebote in Gruppe 4 fast ebenso deutlich von vier auf sieben Prozent stieg. Sie umfaßt im wesentlichen Informations-Soft- und Hardware, etwa die Unternehmensberatung und Datenbanken, Rechenzentren und Finanzinformationssysteme. Winzig klein ist nach wie vor das Forschungsangebot mit stabilen 0,8 Prozent. Der dickste Brocken und entsprechend tief untergliedert ist nun die Gruppe 6 mit 28 (von 25) Prozent.

Sprachliche Bereinigungen sind ebenfalls zu registrieren. War 1987 noch von „Komplettlösungen für den Sehbehinderten“ die Rede, sind daraus inzwischen wenigstens „Komplettlösungen für Sehbehinderte“ geworden. Zynisch muten die Bezeichnungen dieser Produktgruppe allerdings immer noch an - zumal ganz grundsätzlich außer den Verkäufern auf der CeBIT ohnehin niemand glaubt, bei der Datenverarbeitung könne es für irgendjemanden oder irgendetwas eine verheißungsvolle „Komplettlösung“ geben.

Auf die themenmäßige Verteilung in die 17 Hallen ist übrigens nur eingeschränkt Verlaß, weil viele Anbieter, deren Sortiment sich in mehreren Produktgruppen wiederfindet, nicht das Geld aufbringen mochten, auch an mehreren Orten eine der sündhaft teuren Standflächen zu mieten. Die Großen der Branche sehen das natürlich anders. Viele Software-Anbieter sind übrigens bei ihnen untergeschlüpft und sparen sich damit die eigene Koje, während IBM oder Siemens/Nixdorf gleich die passenden Computer offerieren können. Schauen wir also in die vielen kleinen Schubladen, in die der Katalog das CeBIT-Angebot gesteckt hat.

In der Gruppe 1 geht es zunächst die Computerhierarchie herunter: Sie beginnt mit Supercomputern, dann folgen Groß-, Super-Mini-, Mini-, Mikro-, Personal- und Homecomputer, was schon das deutliche Gefälle von der Großindustrie bis zum Freizeitgebrauch aufzeigt. Tragbare und Aktentaschencomputer gehören ebenfalls hierher. Rechner bilden die nächste Untergruppe, dann folgen die Betriebssysteme. Die peripheren Geräte umfassen Bildschirme, Drucker, Scanner, Tastaturen, Speicher und Laufwerke, aber auch mancherlei Überwachungsgerät: Zeiterfassungs- und Zutrittskontrollterminals oder Ladenkassen, die, elektronisch aufgerüstet, zu Points of Sale- (POS-)Terminals und damit zur elektronischen Aufsicht über die Kassiererin geworden sind. Hinzu kommt besonderes Gerät für „erschwerte Umweltbedingungen“ oder für den Gebrauch durch Behinderte. Speichererweiterungen und Grafik-Software folgen unter 1.5, dann Pflegegeräte und Speichermedien von der optischen Speicherplatte bis zum ordinären Papier.

n der Gruppe 2 geht es nur noch im weitestens Sinn um das alte Telefon - hier werden Telekommunikationssysteme angeboten. Telefonvermittlungsanlagen dürften das teuerste sein, was die Gruppe zu bieten hat - hier treffen sich die PostlerInnen aller Länder, wenn Aufträge nicht eh über die Amtsblätter ausgeschrieben werden und dann doch bei den Hoflieferanten landen. Auch Anrufbeantworter werden hier beworben. Mit Paketvermittlungsystemen ist dann die Form der Datenfernübertragung gemeint; Modems, Akustikkoppler, Schnittstellengeräte, Konverter und auch die schwer im Kommen begriffenen Temex-Einheiten sind hier anzutreffen. Mit Temex ist Fernwirkung gemeint. Vereinfacht gesagt, läßt sich die Heizung künftig telefonisch auf 18 Grad einstellen, oder der Gaskonzern liest per Anruf den Verbrauch von der „Gas-Uhr“ ab, die ihren Namen dann auch kaum noch verdient.

Sende- und Empfangseinrichtungen, Funkanlagen, Antennen für die Satelliten-Kommunikation sind wiederum besonders für öffentliche Auftraggeber oder größere Firmen gedacht; Euro -Signal, City-Ruf und Auto-Telefon sind für ihre Chefs oder den Betriebs-Yuppie, aber ganz ernsthaft auch für alle gedacht, die sich unterwegs erreichen lassen wollen oder müssen.

Die lokalen Netzwerke, Local Aera Networks (LANs), die dem Netzmonopol der Post schon in den privaten Fabriken und Büros den Garaus gemacht haben, können mit privater oder von der Post abgesegneter Vermittlungs- und Endgerätetechnik perfektioniert werden. Nebenstellenanlagen, ISDN-Technik, Kabelfernsehanlagen, Videokonferenzsysteme und Btx sind hier ebenfalls zu finden.

In der Gruppe 3 dominieren das Büro und der Laden. Diktiergeräte, Schreibmaschinen, Tischrechner, Zeichenmaterial und Postsortiermaschinen sind an dieser Stelle des Kataloges zu finden, Warenauszeichnungsgeräte und Waagen, geschützt durch Körperschallmelder und biometrisches Identifikationsystem, wenn nicht gar durch Virensuchprogramme. Zum Geldausgabe-Automaten gehört der Bargeldkoffer, zur Not auch das Geldprüfgerät. Zur Sicherungstechnik gehören aber auch so aparte Sparten wie Abhöranlagen, Ent- und Verschlüsselungsgeräte.

ie Gruppe 4 bietet vor allem Dienstleistungen für Firmen, etwa Datenbanken quer durch alle Sparten von Naturwissenschaft, Wirtschaft und Technik, Systemanalysen, Dienste rund um das Rechenzentrum und Mailboxen, aber auch Konto- und Börsendienste von der Zahlungsabwicklung bis zur Devisenhandelssoftware an. Die kleine Gruppe 5 zerfällt in die Grundlagen- und die angewandte Forschung bei Computerentwicklung und Technikeinsatz. Die Gruppe 6 schließlich, so riesig sie mit fast 200 Seiten im Katalog ist, zerfällt nur in zwei große Untergruppen. Die eine umfaßt horizontal die mutmaßlichen Komplettlösungen und Einzelanwendungen quer durch alle einzelnen Sparten von Industrie, Bau, Handel, Handwerk und Dienstleistungen, wofür wohl die Gliederung nach Wirtschaftszweigen des Statistischen Bundesamtes das Vorbild abgegeben hat. Die andere Untergruppe trägt die abenteuerliche Bezeichnung „Entscheidungs-Unterstützungs-Informationssysteme“, wiederum als Komplett- oder Teillösung, und deckt vertikal die einzelnen Schritte von der Finanzplanung über die Produktion bis hin zur Qualitätskontrolle und zum „Schriftgutmanagement“ ab.

Nach der Lektüre des dicken Kataloges schließlich beginnt erst das eigentliche Kunststück auf der CeBIT - sich nicht zu sehr ablenken zu lassen.

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