: DER ARSCH IST FREI
■ „Die Enterbten“ geben sich deutsch: „Dein Wille geschehe“
„Aufstehen“, rufen zwei Schauspieler und eine Schauspielerin in Krankenhausnachthemden und Windelhosen für besonders große Pampers. „Wir können doch nicht schlafen, wenn Deutschland erwacht“, meinen sie. Und wenn Deutschland erwacht, dürfen auch nicht die guten Deutschen fehlen. Die haben sich zahlreich versammelt, um in der Stunde der Vereinigungsgefahr einander beizustehen.
Eigentlich, so will es das Theater, sind die Zuschauer die Irrenanstaltsinsassen und nicht die Schauspieler, die da oben mit dem Deutschtum koitieren. Mal sächsisch, mal hamburgerisch, „mit Ausländern spielen wir nicht - wir sind deutsch“. Oder: „9.11.39 oder 89 - wer mehr haben will, muß den rechten Arm ausstrecken.“
Solch wackere Kritik am Deutschtum wird in Lied- oder Dialogform in einen Raum des Einverständnisses geworfen. Und bleibt da und fängt an zu stinken, weil: daß man bei deutsch immer an Pflicht, Sauberkeit, KZs, daß man in jeder WG betrunken irgendwann Kohl mit Hitler vergleicht - das kennt man inzwischen auch schon aus dem öffentlich-rechtlichen TV, und da bekommt man wenigstens auch noch neue Wörter gelernt. (Zum Beispiel Mösenbärtchen, das ist, wie die ARD vor kurzem bekanntgab, ein Seehundsbart, der als Kreis den Mund einrahmt.) Was Kabarett noch sinnvoll machen könnte, Bühnenpräsenz, Fanatismus, ein Wechselspiel zwischen Stille und Trash, und vor allem ein genau ausgearbeiteter Text fehlt.
Die Formel: „Deutsch sind immer die anderen“ ist nicht nur die Kritik an denen, die sich aus ihrer Geschichte davonstehlen wollten, sondern auch Realität im linksalternativen Spektrum. Linksalternativ fühlt man sich als Frau, als Behinderter, als Mann, als Schwuler, als Kinderkriegerin oder als taz-Leser, nur eben nicht als Deutscher. Und so trifft ein Theater, das sich gierig aufs Deutschtum wirft, im Publikum auf keinerlei Widerstand, der nötig wäre, damit es als Kabarett funktionieren könnte. Alles, was geschieht, geschieht in einem gleichgültigen Niemandsland. Das vereinigte Deutschland wird zum 4. Reich, Männer sind dumme Babys, die nur abgerieben werden wollen, oder Männer sind Soldaten - ob NVA oder Bundeswehr - und Soldaten sind eigentlich schwul: „Väter fickende Väter„; wir sind das Volk, das Volk ist dumm, Dummheit baut Atombomben und ist sowieso für alles und jedes verantwortlich. Dumme Menschen gucken dauernd Fernsehen: „Wir sind die Volksempfänger und sehen immer länger“ und ziehen sich danach einen Porno rein; der „Trabi mit Kat“ wird zum erotisierenden Nahverkehrsmittel reicher Schnepfen, und Kohl zieht in den Führerbunker, wenn Weizsäcker stirbt. Kurz, wir sind in einem Alternativlebenland, in dem jeder tumbe Nazivergleich beliebt ist, wenn Kabarett drüber steht; wir sitzen zwischen Leuten, die sich analfixiert noch über jeden Nachttopf auf der Bühne totlachen, die sich nie entblöden, „die Geschichte des Scheißens“ im Klo auszulegen.
Im Alltag jedenfalls, wo nicht Kabarett drübersteht, gibt es Lustigeres. So hängt am Fenster einer Paßkontrollstelle am Potsdamer Platz ein Bild von Kohl. Ein GrePo hat in ungelenker Schrift „Du Fettsack“ daruntergeschrieben. Oder an einer S-Bahnhaltestelle steht, ebenfalls in Kinderschrift: „NazisArschfiggga“.
Detlef Kuhlbrodt
„Dein Wille geschehe“ im BKA, Mehringdamm 34, jeweils Do bis Mo um 20.30 Uhr. Vorbestellungen unter Tel.: 251 01 12.
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