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Ogottogott - jetzt auch noch die DDR

■ Die Brüsseler Agrarbürokraten empfangen die DDR mit trüben Hochrechnungen und düsteren Prognosen / Neue Überschüsse werden befürchtet und ein neues Gerangel um den chronisch defizitären Agrarhaushalt / 30 Prozent Arbeitslose in der DDR-Landwirtschaft

Brüssel (afp/taz) - Seit die Frage der deutschen Einheit auf die aktuelle Tagesordnung europäischer Politik gerückt ist, sieht sich auch die Brüsseler EG-Bürokratie mit unerwarteten Fragen konfrontiert. Erhebliche Auswirkungen für die Gemeinschaft sind vor allem in einem Bereich zu erwarten, der in der Geschichte der EG einer der Kernpunkte der Integration, aber auch einer ihrer problematischsten Sektoren war: die Landwirtschaft. Die EG-Experten, ebenso wie ihre Bonner Kollegen, sitzen noch über einer Bestandsaufnahme der DDR-Landwirtschaft. Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle wird seine Amtskollegen im EG-Ministerrat bei der am heutigen Montag beginnenden Ratssitzung in Luxemburg über den Kenntnisstand seines Ministeriums unterrichten.

Sorgen machen sich die Brüsseler Experten, die in den vergangenen Jahren vergeblich versucht haben, die Ausgaben für die Landwirtschaft zu dämpfen, daß mit der Integration der DDR-Landwirtschaft neue und noch höhere Kosten und Subventionen auf die Gemeinschaftskasse zukommen. Die Produktivität des überwiegend von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) geprägten DDR-Agrarsektors liegt deutlich unter der der westdeutschen Bauern, erreicht gemessen in Hektarbeträgen im manchen Sektoren sogar nur die Hälfte. Auch die Produktionskosten liegen teils doppelt so hoch. So belaufen sich die Produktionskosten für Futtergetreide nach Bonner Angaben im Westen auf 33 D-Mark pro Tonne, während sie in der DDR 73 D-Mark pro Tonne ausmachen. Die EG rechnet aber damit, daß es bei der Übernahme westlicher Produktionsmethoden nur eine Frage der Zeit ist, bis die Erträge das westliche Niveau erreichen. Damit wäre abzusehen, daß die DDR, die heute prinzipiell als Selbstversorger zu betrachten ist, Überschüsse erzeugt.

Bereits im kommenden Jahr könnten auf die EG-Agrarkasse Ausgaben in Höhe von 1,0 bis 1,6 Milliarden ECU (bis zu 3,2 Milliarden Mark) zukommen, schätzt EG-Wirtschaftskommissar Henning Christophersen in einem Anfang Februar erstellten Bericht. EG-Kommissionpräsident Jacques Delors geht davon aus, daß die DDR-Integration der Gemeinschaft möglicherweise jährlich mehr als vier Milliarden Mark kosten wird. Neben den erwarteten Kosten muß sich die Gemeinschaft auch auf schwierige politische Gespräche einstellen, beispielsweise wenn Produktionsquoten wie für Milch durch die Einbeziehung der DDR-Bauern neu zu verteilen sind.

Von Bonner Seite wird darauf verwiesen, daß die DDR in manchen Sektoren ihre Produktion reduzieren müsse. So seien Flächenstillegungen aus Gründen des Umweltschutzes zu erwarten - die DDR verwendet etwa ebensoviel Pestizide wie die bundesdeutsche Landwirtschaft, dies aber auf einer nur halb so großen Anbaufläche. Auf anderen Flächen werde die Produktion ebenfalls eingestellt, wenn bislang für die DDR nicht existierende westliche Rentabilitätsberechnungen angewandt werden, sagen die Bonner ExpertInnen, die mittlerweile auf Arbeitsgruppenebene in Kontakt mit ihren Ostberliner KollegInnen stehen. Dadurch entstehe für die DDR ein Importbedarf an landwirtschaftlichen Produkten. Gesteigerte Importe der DDR sind zudem bei Südfrüchten und Wein zu erwarten, für die EG Überschußsektoren, für die DDR bislang aber Mangelware. Noch größere Probleme als für die Gemeinschaft kommen bei der Neuorientierung auf die DDR -Landwirte selbst zu. Der Arbeitskräftebesatz der LPGs ist im Schnitt doppelt so hoch wie der westdeutscher Erzeuger, die Produktionskosten entsprechend. Diplomaten in Brüssel rechnen damit, daß mindestens 30 Prozent der Arbeitskräfte in der DDR-Landwirtschaft areitslos werden. Bei einer sofortigen Einbindung in den EG-Markt drohe die DDR -Landwirtschaft von der Konkurrenz vom Markt gedrängt zu werden. Ziel der Bonner Politik ist es jetzt, zumindest was die Drittstaatenimporte angeht, eine mehrjährige Übergangsphase einzuführen, wie sie auch beim EG-Beitritt der Mittelmeerländer galten. Gerade diese fürchten aber angesichts der zu erwartenden Kosten der deutschen Vereinigung, weniger Geld für die Lösung ihrer eigenen Probleme zu erhalten. Bundeskanzler Kohl hat bei seinem Besuch in Brüssel am Freitag gerade mit Blick auf Länder wie Griechenland oder Irland versichert, die Deutschen wollten nicht, daß durch ihre Einheit die Entwicklung in anderen Länder gebremst werde. Die Partner in der EG erwarten, daß dieser Absichtserklärung bei den anstehenden konkreten Gesprächen jetzt auch Taten der Bonner Regierung folgen.

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