: Kulinarisches in der Kiezküche Moabit
■ Das Bildungsprojekt Kiezküche feiert einjähriges Bestehen / In Berlin wird die alte Tradition der Volksküchen wiederbelebt
Vollkornnudeln „Frühlingsart“ mit Gemüsestreifen und Zucchetti auf Kräuterrahmsauce contra geschnetzelte „Barbarie Entenbrust“ an grüner Pfeffersauce mit Katroffelbällchen. Und das alles zum Selbstkostenpreis. Solche kulinarischen Genüsse standen gestern auf der handgeschriebenen Speisekarte der Kiezküche Moabit.
Im April feiert dieses Bildungsprojekt in der Waldenserstraße sein einjähriges Bestehen. Zwanzig ehemalige Sozialhifeempfänger lernen hier, unter der fachlichen Betreuung eines Profikochs, von der Pieke auf das Vor- und Zubereiten von feinen Speisen. Aber auch Putzen, Abspülen und der Service im vereinseigenen Lehrrestaurant und der Kantine nebenan gehören zu dem einjährigen Programm. Das Projekt des gemeinnützigen Vereins Bildungsmarkt führt die alte Tradition der „Volksküchen“ fort.
In Berlin eröffnete vor über hundert Jahren die erste Volksküche für ärmere Leute. Damals kostete „ein Liter Speis“ 40 Pfennige. Heute können in der Kiezküche Moabit alle, die nur einen dünnen Geldbeutel besitzen, billig essen. Zwischen vier und acht Mark muß man für eine Mahlzeit bezahlen.
Bis zu 150 Essen verschwinden täglich in den Mägen hungriger Gäste. Für die Kantine muß das Essen vorgekocht werden, „weil die Gäste alle gleichzeitig kommen. Die Speisen für das Restaurant bereiten wir 'a la minute‘.“ Küchenchef Jürgen Woelke und sein Team haben alle Hände voll zu tun. „Das Schwierigste ist, als einziger Profi das ganze Team unter den Fittichen zu haben.“ 25 Jahre kocht Jürgen Woelke schon. In First-class-Burgen hat er die High-society verköstigt, und dabei hat ihn sein Beruf schon fast in die ganze Welt geführt. Da steht dann auf der Tageskarte der Kiezküche schonmal etwas Chinesisches oder Arabisches.
Nach der Ausbildungszeit bekommen die 20 jungen Leute, die von den Sozialämtern vermittelt werden, ein Arbeitszeugnis. Die einjährige Ausbildung in der Kiezküche führt zu keinem regulären Abschluß.„Das ist bei uns nur eine Durchgangsstation, hier kann man sich nicht ausruhen“, sagt der Projektleiter Heinz Klare-Wendler. „Nach spätestens einem halben Jahr geht dann die Diskussion los, was danach sein wird.“ Viele würden sich hier aufgrund des festen Gehalts, der regelmäßigen Arbeitszeiten und der beruflichen Orientierung in ihrer persönlichen Situation stabilisieren, meint Heinz Klare-Wendler. „Die haben dann den Kopf frei, um sich über ihre Zukunft Gedanken zu machen.“ Und Hans Peter Eich, Geschäftsführer vom Bildungsmarkt, meint: „Wir wollen in der realen Situation arbeiten, das viel mehr Spaß. Die Schüler merken sofort, ob es dem Gast schmeckt oder ob er gar nicht zufrieden ist.“ Aber ein Problem sei die unzureichende personelle Besetzung. „Krank werden darf unser Koch nicht, sonst bricht der Laden zusammen.“
Julia Schmidt
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