: Orientierungspunkte entwickeln-betr.: "Grüne für Europa-Integration", taz vom 23.3.90, S.3
betr.: „Grüne für Europa-Integration“, taz vom 23.3.90, Seite 2
Daß Grüne jetzt dem Europarat vor der EG als institutionelle Grundlage für eine „gesamteuropäische Wirtschaftsordnung“ Vorrang geben wollen, und das sogar unter Einbeziehung der Sowjetunion, ist meines Erachtens geeignet, den Eindruck europapolitischer Konzeptionslosigkeit zu verstärken. Unklar bleibt zum Beispiel, wieso der Europarat, würde er tatsächlich in die ihm zugedachte Aufgabe hineinwachsen, weniger „von Kapitalinteressen dominiert“ werden sollte als die EG; und deren „Demokratie-Defizit“ ist nicht größer als das des Europarates. Vollends illusorisch scheint mir eine Einbeziehung der Sowjetunion in eine gesamteuropäische Wirtschaftsordnung; auch ein noch so prosperierendes Europa würde sich übernehmen, wollte es den darniederliegenden eurasiatischen Riesen aus seiner Existenzkrise heraus„entwickeln“.
Anstatt sich von derzeitigen Umwälzungen in Osteuropa und in der UdSSR mal hierhin, mal dorthin treiben zu lassen, sollten die Grünen gerade jetzt, wo so vieles „im Fluß“ ist, versuchen, Orientierungspunkte zu entwickeln, an denen sie ein langfristig angelegtes umfassendes europapolitisches Konzept ausrichten könnten, das seinerseits als strategische Basis für taktische Initiativen in den einzelnen europäischen Ländern und in europäischen Organisationen zu dienen hätte. Beispielhaft will ich hier nur auf die zwei folgenden Möglichkeiten für solche Orientierungspunkte hinweisen:
Ein Europa ethnischer und ökonomischer Regionen anstelle des Europas der Nationalstaaten; zu diesem Zweck Unterstützung der sogenannten ethnischen Minderheiten, der Bundesländer in ihrem Bemühen um stärkeren Einfluß auf den europäischen Integrationsprozeß, von Ansätzen grenzüberschreitender ökonomischer Regionenbildung wie die Alpen-Argemeinschaften, Euregio und ähnliche.
Ein Europa als „Dritte Kraft zwischen USA und UdSSR anstelle eines Europas in Abhängigkeit vom US-amerikanischen One-World-Konzept, das sowohl ökonomisch wie auch militärisch zusehends verwirklicht zu werden scheint; zu diesem Zweck wäre von den Grünen eine Kampagne für die längst fällige öffentliche Diskussion über die politische Verfassung Europas in Gang zu setzen und die Entwicklung der Westeuropäischen Union zum Ausgangspunkt für ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem in die öffentliche Diskussion zu bringen, das Nato und Warschauer Vertrag überwinden kann.
Dr.Lutz Roemheld, Fröndenberg
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