: Der Um-Weltmeister DDR zieht seine Bilanz
Auf der „Utech“ in Berlin analysieren Fachbeamte und Wissenschaftler die Umweltmisere beim deutschen Nachbarn / Gifteinsatz war Verschlußsache, wurde aber akribisch dokumentiert / Jeder dritte DDR-Bürger lebt in der Smogzone / Autoboom bringt neue Sorgen ■ Von Manfred Kriener
Berlin (taz) - Umweltpolitik als Reparaturbetrieb. Der Hase hechelt mit Sanierungsprogrammen und aufwendiger Meßtechnik, mit Filtern und Smogverordnungen dem Igel Gift hinterher. Die DDR ist in diesem Sinne ein wahres Paradies für Reparateure und Umwelt-Hasen. Auf der „Utech“, dem größten Kongreß für Umwelttechnologien, der diese Woche im Westberliner ICC läuft, standen die DDR-Referenten denn auch ganz im Mittelpunkt. Sie stellten Fakten zur Lage im Wasser, zu Lande und in der Luft vor, für deren Verbreitung sie „vor fünf Monaten noch ins tiefste Sibirien versetzt worden“ wären, so der Westberliner Smogfachmann Manfred Breitenkamp.
Was die Giftbelastungen der DDR angeht, sitzen die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der ersten Reihe. Ihr Pestizid-Eintrag pro Hektar Fläche beträgt das Doppelte des - schon viel zu hohen - der BRD. Bisher gab es dazu kaum Informationen, denn die alte SED hatte in Kenntnis der Brisanz den Pestizideinsatz zur „geheimen Dienstsache“ erklärt, so der DDR-Hydrologe E. Heinisch. Doch im Unterschied zur BRD haben die großen LPGs über Jahrzehnte jeden Gifteintrag sorgsam notiert. Ganze Blechschränke voller akribischer Aufzeichnungen über die Spritzungen liegen bereit zur Auswertung.
Traurigen Rekord vermeldete Heinisch für die Chemiefabrik Berlin-Grünau, wo selbst in 75 Metern Tiefe im Erdreich noch eine ganze Liste schwerer Gifte wie DDT, HCH, HCD, DDE oder DDI gefunden wurde. Nirgendwo auf der Welt sei ihm ein ähnlicher Fall von „solchen Giftmengen in solch großen Tiefen“ bekannt geworden. In Grünau wurde unter anderem das hochgefährliche Schädlingsbekämpfungsmittel DDT produziert, bis 1985 auch zahlreiche andere Pflanzen„schutz„mittel. Auch im Ostberliner Wasserwerk Johannisburg sei eine „hohe Kontamination“ des Trinkwassers durch die Pestizidwirkstoffe von Grünau nachgewiesen worden.
Stark verseucht sind offenbar auch die Grenzstreifen an der Berliner Mauer. Hier dürften Meßtrupps in nächster Zeit auf manche Überraschung stoßen. Nach Heinischs Einschätzung wurden hier regelmäßig und „außerordentlich intensiv“ Herbizide in hohen Konzentrationen versprüht, um freie Sicht und ein gutes Schußfeld zu gewährleisten. Natürlich hätten sich die Grenztruppen „einen Teufel darum geschert“, ob die Grenzstreifen in einem Wassereinzugsgebiet liegen.
Im Vergleich mit der BRD, wo fast 1.000 verschiedene Pestizide zugelassen sind, liegt die DDR mit rund 400 deutlich darunter. Allerdings seien bei Analysen verschiedentlich auch nicht zugelassene Mittel entdeckt worden. Das wurde offenbar eher locker gehandhabt. Die Grenzwerte der DDR schwanken je nach Mittel um Zehnerpotenzen und mehr zu denen der EG. Heinisch: „Da liegen Welten dazwischen.“
Daß wichtige Grenzwerte und Umweltgesetze von der DDR aus der BRD importiert werden, kündigte Luftreinhalter Horst Werner vom DDR-Gesundheitsministerium an. So wolle die DDR die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) und die Großfeuerungsanlagenverordnung übernehmen. Werner stellte auf der „Utech“ das düstere Kapitel der „lufthygienischen Situation“ der DDR vor. 37 Prozent, also mehr als ein Drittel der DDR-Bevölkerung lebt demnach in Smog-Belastungsgebieten, in denen der Grenzwert für Schwefeldioxid regelmäßig überschritten wird. Was die Luftschadstoffe angeht, ist die DDR mit Abstand Spitzenreiter Europas. Halle, Leipzig, Cottbus, Karl-Marx -Stadt heißen die Zentren der Luftverschmutzung. Der Hauptverursacher heißt Braunkohle, aber auch die Zweitakt -Autos mit hohen Ruß-, Blei- und Kohlenwasserstoff -Emissionen kommen dazu. Noch immer werden genau zwei Drittel aller DDR-Wohnungen mit festen Brennstoffen, vorwiegend mit den stark schwefelhaltigen Braunkohlebriketts beheizt. Nur in der Hauptstadt habe sich die alte SED „aus optischen und politischen Gründen“ für eine schnellere Umstellung auf Gas eingesetzt.
Trotz der insgesamt „dramatischen Situation“ der Luftverschmutzung widersprach Werner den Meldungen über eine um mehrere Jahre reduzierte Lebenserwartung in den Smogzentren der DDR. Die Mortalitätsstatistik des Landes zeigte zur Überraschung aller eher in den weniger belasteten Gebieten eine niedrigere Lebenserwartung. Die Umweltsituation spiele hier nicht die befürchtete Rolle. Beißender Kommentar aus dem Publikum: „Dann dürfen wir in Halle/Leipzig bloß nichts verbessern.“
Bis heute, so konstatierte Werner resigniert, gebe es in der gesamten DDR noch immer keinen Anbieter für Entschwefelungsanlagen. Und mit dem neuen Autoboom und der Invasion von „Gebrauchten“ aus dem Westen komme „etwas auf uns zu, was wir besser vermeiden sollten“. Die höhere Motorisierung könnte Teilerfolge durch Stillegungen von alten Dreckschleudern wieder ausgleichen. Schöne Aussichten.
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